die besten bücher 2019

 

Dieses Jahr möchte ich keine Rangliste, sondern eine thematische Bestenliste präsentieren. Mir gefallen oft Bücher die das Thema Familie betreffen, wer wir sind, woher wir kommen und warum wir sind, wie wir sind. Darum gibt es in diesen Büchern meistens auch Rückblicke in frühere Zeiten. Das ist genau das was mich an diesen Büchern fasziniert. 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Sie kam aus Maripul *

von Natascha Wohin, 363 S

 

"Wenn du gesehen hättest, was ich gesehen habe" - Natascha Wodins Mutter sagte diesen Satz immer wieder und nahm doch, was sie meinte, mit ins Grab. Da war die Tochter zehn und wusste nicht viel mehr, als dass sie zu einer Art Menschenunrat gehörte, zu irgendeinem Kehricht, der vom Krieg übriggeblieben war. Wieso lebten sie in einem der Lager für "Displaced Persons", woher kam die Mutter, und was hatte sie erlebt? Erst Jahrzehnte später öffnet sich die Blackbox ihrer Herkunft, erst ein bisschen, dann immer mehr. 

"Sie kam aus Mariupol" ist das aussergewöhnliche Buch einer Spurensuche. Natascha Wodin geht dem Leben ihrer ukrainischen Mutter nach, die aus der Hafenstadt Mariupol stammte und mit ihrem Mann 1943 als "Ostarbeiterin" nach Deutschland verschleppt wurde. Sie erzählt beklemmend, ja bestürzend intensiv vom Anhängsel des Holocaust, einer Fussnote der Geschichte: der Zwangsarbeit im Dritten Reich. Ihre Mutter, die als junges Mädchen den Untergang ihrer Adelsfamilie im stalinistischen Terror miterlebte, bevor sie mit ungewissem Ziel ein deutsches Schiff bestieg, tritt wie durch ein spätes Wunder aus der Anonymität heraus, bekommt ein Gesicht, das unvergesslich ist. "Meine arme, kleine, verrückt gewordene Mutter", kann Natascha Wodin nun zärtlich sagen, und auch für uns Leser wird begreifbar, was verlorenging. Dass es dieses bewegende, dunkel-leuchtende Zeugnis eines Schicksals gibt, das für Millionen anderer steht, ist ein literarisches Ereignis. 

"Das erinnert nicht von ungefähr an die Verfahrensweise, mit der W. G. Sebald, der grosse deutsche Gedächtnis-künstler, verlorene Lebensläufe der Vergessenheit entriss." (Sigrid Löffler in ihrer Laudatio auf Natascha Wodin bei der Verleihung des Alfred-Döblin-Preises 2015) 

Fazit: Dieses Buch hat mich tief berührt. Zeitweise konnte ich das Buch kaum aus den Händen legen. Ein Stück Zeitgeschichte von nichtjüdischen Zwangsarbeitern im 2. Weltkrieg. Aufschlussreich und sensibel geschrieben.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wohin wir gehen

von Peggy Mädler, 224 S

 

Peggy Mädlers Roman über zwei Freundinnen, von denen die eine gelernt hat, dass es immer etwas zu verlieren gibt, und die andere, dass es immer irgendwie weitergeht. Eine Geschichte über das Älterwerden und Abschiednehmen, über Neuanfänge und das Immer-wieder-Weitermachen. 

Almut und Rosa, zwei Mädchen im Böhmen der 1940er Jahre, sind beste Freundinnen. Als Almuts Vater überraschend stirbt und ihre Mutter Selbstmord begeht, nimmt Rosas Mutter, eine deutsche Kommunistin und Antifaschistin, die nach dem Krieg wie alle Deutschen die Tschechoslowakei verlassen muss, beide Mädchen mit nach Brandenburg. Sie teilen Erfahrungen von Verlust und Entwurzelung, aber auch von wachsender Verbundenheit mit dem neugegründeten Staat. Almut und Rosa werden Lehrerinnen, ziehen nach Berlin, doch mit 30 entscheidet sich Rosa abermals für einen Neuanfang: Wenige Monate vor dem Mauerbau steigt sie nur mit einer Handtasche in die S-Bahn nach Westberlin. Almuts Welt bricht auseinander, verliert ihr Oben und Unten, ist sie doch selbst auf der Suche nach etwas, das bleibt. Ein halbes Jahrhundert später hat Almuts Tochter Elli ebenfalls eine beste Freundin, die Dramaturgin Kristine. Und sie ist es schliesslich, die sich im Alter um Almut kümmert, als Elli in Basel eine Stelle am Theater hat. Erfahrungen und Erinnerungen lagern sich wie Sedimente ab. Lebenswege verschlingen sich, zwischen den Familien und den Generationen, es geht immer auch ums Weggehen, Ankommen oder Bleiben, und um den Moment, in dem man sieht, was wirklich zählt.

Fazit: Ein Buch genau nach meinem Geschmack, feinfühlig aber nicht duselig, interessantes Zeitgeschehen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Winterbienen

von Norbert Scheure, 319 S *

 

Januar 1944: Während über der Eifel britische und amerikanische Bomber kreisen, gerät der wegen seiner Epilepsie nicht wehrtaugliche Egidius Arimond in höchste Gefahr. Er bringt nicht nur als Fluchthelfer jüdische Flüchtlinge in präparierten Bienen-stöcken über die Grenze, er verstrickt sich auch in Frauengeschichten.

Mit grosser Intensität erzählt Norbert Scheuer in "Winterbienen" einfühlsam, präzise und spannend von einer Welt, die geprägt ist von Zerstörung und dem Wunsch nach einer friedlichen Zukunft.

Fazit: Dieses  Buch könnte für mich eines der Besten in diesem Jahr werden. Unbedingt lesen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wenn Du gefragt hättest, Lotta *

von Barbara Geiser, 340 S

 

Die Bemerkung der alten Frau lässt Lotta keine Ruhe: Luise, Lottas Grossmutter, sei als junge Frau aus Gletschen verschwunden und nie mehr dorthin zurückgekehrt. Das erfährt Lotta zufällig an deren Beerdigung im Bergdorf. Was hat Luise ihr verschweigen und weshalb? Und was war in Gletschen geschehen? Lotta war bei Luise aufgewachsen, dank ihr wurde sie Musikerin. All die Jahre dachte sie, sie hätten sich nahegestanden. Lotta macht sich auf Spurensuche. Sie sammelt Erinnerungen, fragt und hört zu, liest und sucht im Internet, beschäftigt sich mit alten Familienschriften ebenso wie mit DNA-Analysen. Schliesslich folgt sie Hinweisen bis nach England. Allmählich setzen sich die Teile eines beeindruckenden Lebens zusammen, und Lottas Bild ihrer Grossmutter verändert sich. Aber auch Lotta ist nicht mehr dieselbe. 

Barbara Geiser legt mit ihrem ersten Roman eine vielstimmige Geschichte vor, in der Vergangenheit und Gegenwart raffiniert ineinanderfliessen und sich Rhythmen und Klangfarben zu einer karftvollen Sprache verbinden.

Fazit: Ein Buch nach meinem Geschmack, einfach toll geschrieben, Spannung, Familie, Vergangenheit und Gegenwart.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bella Ciao 

von Raffaella Romagnola, 528 S

 

Piemont, 1946. Giulia Masca kommt als gemachte Frau zurück in das Städtchen ihrer Kindheit, wo sie noch eine Rechnung offen hat. Vor fast fünfzig Jahren wurde sie hier von ihrer besten Freundin Anita und ihrem Verlobten hintergangen, weshalb Giulia die Flucht ergriff und sich in New York eine neue Existenz aufbaute. Nach einem halben Jahrhundert will sie Anita wieder treffen – wie werden sie sich gegenübertreten?

Fazit: Dieser Roman hat mir sehr gut gefallen. Der obige Beschrieb sagt nicht viel aus zum Inhalt. Hier kommt eine Dorfgeschichte von 1910 bis in die Neuzeit daher. Sehr interessant ist, wie die Geschichte aufgebaut ist (Rück-blenden). Das ist manchmal etwas verwirrlich, aber man gewöhnt sich schnell daran. Hat mir sehr gut gefallen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Worauf wir hoffen *

Fatima Fahren Mirza,  580 S

 

Was hält unsere Familien im Innersten zusammen? Amar hat es sich nicht ausgesucht, einziger Sohn und Stolz der Familie zu sein. Wenn er gegen seine muslimischen Eltern rebelliert, ist es seine ältere Schwester Hadia, die ihn schützt. Bis sie sich fragt: wovor eigentlich? Vor den Mög-lichkeiten, die sie als junge Frau nicht hat? Nach einem Streit mit dem Vater läuft Amar von zu Hause weg. Und Hadia nimmt nach und nach seinen Platz ein. Drei Jahre später heiratet sie einen Mann ihrer eigenen Wahl: für die Familie die Chance, sich neu zu erfinden. Doch dann kehrt Amar zurück. Gibt es eine Eifersucht, die verzweifelter ist, als die unter Geschwistern? Müssen wir die Welt unserer Eltern erst akzeptieren, bevor wir uns daraus befreien können? 

Fazit: Ein wunderbares feines Buch. Hat mir sehr gut gefallen, allerdings muss man offen sein für  die muslimische Religion, da darüber viel erzählt wird.

 

 

 

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Die Länderflaggen beziehen sich auf die Herkunft des Autors/der Autorin.

Seit 26.05.2016

Überarbeitet Februar 2018