bücher gelesen 2025
10.
SchweizerLiteratur
Achzehnter Stock
von Sara Gmuer, S 224
»Unerfüllte Träume sind auch Träume. Sie sind bloss viel gefährlicher.« – Wanda hat sich ihr Leben anders vorgestellt. Ganz anders. Statt auf Filmdrehs und Premieren verbringt sie die heissen Sommertage im Hof einer Berliner Platte, wo sie mit ihrer fünfjährigen Tochter Karlie im achtzehnten Stock wohnt. Der Lift ist defekt und das Treppenhaus ein einziges Funkloch, in dem man, wenn man Pech hat, das ganze Leben verpasst. Am anderen Ende der Stadt scheint dagegen alles möglich. Als Wanda eine einmalige Chance bekommt, taucht sie ein in eine Welt, in der Geld keine Rolle spielt und Türen immer offenbstehen. Doch wie weit sie auch geht, die Platte in ihrem Rücken wird nie wirklich kleiner. Ein rauer und zärtlicher, temporeicher und fein beobachteter Roman über Zusammenhalt und Selbstverwirklichung und darüber, dass das Glück manchmal näher liegt, als wir denken.
Fazit: ein temporeicher Roman, fast zuviel des Guten, aber echt lesenswert.
9.
Deutsche Literatur 🇩🇪
Als wir Schwäne waren
von Behzad Karim Khani, S 192
Von Wahrheit und Willkür in den Plattenbausiedlungen der alten BRD - Der neue Roman von Behzad Karim Khani, dem Shootingstar der deutschen Literatur
Ein Junge, der sich eine Gewalt herbeisehnt, die eine Kuhle hinterlässt mit den Umrissen Deutschlands. Er lebt in einer Siedlung, wo die Küchen keine Abzüge haben, und in deren Fluren es nach Armut, Majoran und Etagenbetten riecht. Es sind die 1990er und er ist mit seiner Familie aus dem Iran ins Ruhrgebiet geflohen. Die Mutter ist Soziologin, der Vater ein Schriftsteller, in dessen Sprache es fünfzehn verschiedene Begriffe für Stolz gibt. Deutschland erlebt er als Kränkung und wird zum Beobachter. Erschöpft sich dabei, das Land zu begreifen, während die Mutter an das An- und Weiterkommen glaubt und die Wut des Sohnes immer ungehemmter wird. Denn auf den Strassen seines Viertels herrscht eine Gewalt, von der die Eltern wenig mitbekommen. Ein Roman über ein tristes Land. Über die Diaspora als Heimat. Über die Freiheit im Fremdsein. Über kaputte Aufzüge und die Wahrheit der Schwäne.
Fazit: ich fand das Buch schwierig zu lesen und zu verstehen. Schade, da das Thema der Eingliederung und das gegenseitige Verstehen so wichtig wären.
8.
Südkoreanische Literatur 🇳🇴
Weiss
Han Kang, S 160
„Ich glaube, dass dies die besten Worte für einen Abschied sind. Bitte stirb nicht. Lebe“.
Während eines Aufenthalts in einer europäischen Stadt, die im weissen Winterschlaf liegt, überfällt die Erzählerin plötzlich die Erinnerung an ihre Schwester, die als Neugeborenes in den Armen der Mutter starb. Sie ringt mit dieser Tragödie, die das Leben ihrer Familie bestimmt hat, ein Ereignis, das in Bildern von Weiss wieder und wieder aufscheint: das Weiss der Muttermilch, der Windel, der reiskuchenweissen Haut des kleinen Mädchens. Nur eine Autorin wie Han Kang vermag es, aus einer so zutiefst persönlichen Erinnerung eine grosse literarische Erzählung zu erschaffen: »Weiss« ist ein Buch über Trauer und die Widerstandskraft des menschlichen Daseins - Han Kangs persönlichstes Buch und zugleich ihr literarisches Meisterstück.
Fazit: selten so Schönes gelesen.
7.
Norwegische Literatur
Stille
von Erling Karge, S 144,
Der Weltwanderer Erling Kagge musste weit gehen, um ein Gut zu finden, das in unserer Zeit immer wichtiger wird: Stille. Auf seinen Expeditionen – zum Süd- und zum Nordpol, auf den Mount Everest – hat er sie gefunden. Aber ist Stille auch in der Stadt zu erfahren? Im turbulenten Oslo, wo er lebt? Ja, wenn man bereit ist, die Welt auszusperren und eine Reise in sein Inneres anzutreten, kann man auch dort, wo es laut ist, »seinen eigenen Südpol finden«, denn »Stille ist überall«.
Fazit: ein sehr schönes philosophisches Buch.
6.
Britische Literatur 🇬🇧
Knife
von Salman Rushdie, S 256
Das Weltereignis: Salman Rushdie erzählt die Geschichte des Attentats auf ihn und schafft daraus grosse Literatur. Im August 2022 wird Salman Rushdie während einer Lesung auf offener Bühne mit einem Messer angegriffen und schwer verletzt. Mehr als dreissig Jahre nachdem das iranische Regime wegen seines Romans »Die satanischen Verse« eine Fatwa gegen ihn ausgesprochen hat, holt ihn die Bedrohung ein. Salman Rushdie überlebt den Anschlag und hält seinem Angreifer das schärfste Schwert entgegen: Er verarbeitet diese unvorstellbare Tat, die die ganze Welt in Atem hielt, zu einer Geschichte über Angst, Dankbarkeit und den Kampf für Freiheit und Selbstbestimmung. »Knife« ist Salman Rushdies persönlichstes Werk, dringlich und unerschütterlich ehrlich. Eine lebensbejahende Hymne an die Macht der Literatur, dem Undenkbaren einen Sinn zu geben.
Fazit: ein schönes Buch, indem Salman Rushdie seine Erlebnisse verarbeitet. Aber muss ich das alles selber lesen und wissen?
5.
Schweizer Literatur
Tabak und Schokolade 🇨🇭
von Martin R. Dean, S 224
Nach dem Tod der Mutter findet der Erzähler in einer Schublade ein Album mit Fotos seiner frühen Kindheit, die er auf der Karibikinsel Trinidad und Tobago verbracht hat. Als junge Frau hatte sich die Tochter von »Stumpenarbeitern« aus dem Aargau in ein Abenteuer mit einem Tunichtgut der westindischen Oberschicht gestürzt und ein Kind bekommen. Während die übrige Familie bemüht ist, das Gedächtnis an die Jahre der Mutter bei den »Wilden« auszulöschen, macht sich der Erzähler auf, diese Geschichte, die auch seine eigene ist, zu retten.Tabak und Schokolade führt in den tropischen Dschungel einer britischen Kronkolonie der fünfziger und sechziger Jahre. Indem der Erzähler immer weiter zu seinen indischen Vorfahren, die als Kontraktarbeiter in die Karibik verschifft wurden, vordringt, legt er nicht nur einen Familienstammbaum, sondern auch ein Stück Kolonialgeschichte frei. Dem gegenüber wird die Erinnerung an das Aufwachsen im »Tabakhaus« der Grosseltern im Aargau gestellt und die Annäherung an eine Mutter, die zu Lebzeiten stets unnahbar erschien.
Fazit: die Suche nach seinen Wurzeln wird hier in all seiner Vielfältigkeit interessant aufgezeigt, mit vielen recherierten Belegen, was für mich auch viele neue Erkenntnisse brachte. Hingegen ist der Aufbau des Buches, der rote Faden, oft etwa schwierig. Es wirkt so wie eine Aufzählung und dadurch vermisse ich auch das Zwischenmenschliche, wenn von dem in seiner Kindheit wenig vorhanden war, so muss der Autor nicht auch noch so hart urteilen. Trotzdem eine Leseempfehlung.
4.
Deutsche Literatur 🇩🇪
Windstärke 17
von Caroline Wahl, S 256
Ida hat nichts bei sich ausser dem alten, verschrammten Hartschalenkoffer ihrer Mutter, ein paar Lieblingsklamotten und ihrem MacBook, als sie ihr Zuhause verlässt. Es ist wahrscheinlich ein Abschied für immer von der Kleinstadt, in der sie ihr ganzes bisheriges Leben verbracht hat. Im Abschiednehmen ist Ida richtig schlecht; sie hat es vor zwei Monaten nicht einmal auf die Beerdigung ihrer Mutter geschafft. Am Bahnhof sucht sie sich den Zug aus, der am weitesten wegfährt auf keinen Fall will sie zu ihrer Schwester Tilda nach Hamburg , und landet auf Rügen. Ohne Plan, nur mit einem grossen Klumpen aus Wut, Trauer und Schuld im Bauch, streift sie über die Ostseeinsel. Und trifft schliesslich auf Knut, den örtlichen Kneipenbesitzer, und seine Frau Marianne, die Ida kurzerhand bei sich aufnehmen. Zu dritt frühstücken sie jeden Morgen Aufbackbrötchen, den Tag verbringt Ida dann mit Marianne, sie walken gemeinsam durch den Wald oder spielen Skip-Bo, abends arbeitet Ida mit Knut in der Robbe. Und sie lernt Leif kennen, der ähnlich versehrt ist wie sie. Auf einmal ist alles ein bisschen leichter, erträglicher in Idas Leben. Bis ihre Welt kurz darauf wieder aus den Angeln gehoben wird
Fazit: wieder ein schöner Romanvon Caroline Wahl, einfach die Fortsetzung des vorangehenden Romans 22 Bahnen und auch im gleichen Styl. Na ja kann man lesen.
3.
Schweizer Literatur 🇨🇭
Die Ränder der Welt *
von Jens Steiner, S 304
Als Sohn estnischer Auswanderer wächst Kristian im Basel der Nachkriegszeit auf und freundet sich mit dem Nachbarsjungen Mikkel an. Mikkel rotiert wie ein Kreisel durchs Leben und macht sich, kaum erwachsen, auf nach Dänemark, wo er sich einer Gruppe junger Künstler anschliesst. Und Kristian bald nachholt. Auch Kristian findet in Dänemark Inspiration für seine Bildhauerei. Aber dann schlägt Mikkel sein Leben aus den Fugen, indem er eine Affäre mit Kristians grosser Liebe Selma beginnt. Die Wut jagt Kristian durch die Welt, bis ins ferne Patagonien, wo er neu anfangen kann. Erst viele Jahre später reist Kristian wieder zurück nach Europa und erhält einen mysteriösen Brief, der ihn auf die kleine Fähre nach Christansø schickt...
Fazit: schöner Roman, nur konnte ich ihn nicht fertig lesen, alles etwas zu langfädig und bis ins kleinste Detaille.
2.
Schweizer Literatur 🇨🇭
Fluchtnovelle *
von Thomas Strähle, S 121
Erfurt, 1965: Im »Haus der Roten Armee« lernen sich eine Studentin aus der DDR und ein Student aus der Schweiz kennen. Beide sind blutjung – sie 21, er 23. Sie verlieben sich ineinander und wollen ein gemeinsames Leben, doch trennt sie der Eiserne Vorhang. Dass er zu ihr in den Osten gehen könnte, kommt für beide nicht in Frage, und so suchen sie verzweifelt nach einem Weg für sie in den Westen. Als sie einsehen müssen, dass es legal nicht geht, schmieden sie einen genialen Plan und wollen das System von der Seite her angreifen, der es am wenigsten Aufmerksamkeit schenkt: Die DDR tut alles, um die Menschen an der Ausreise zu hindern, also versuchen sie es aus der entgegengesetzten Richtung, bei der Einreise. Die Route führt über Prag, sie bereiten alles minutiös vor, doch als der entscheidende Moment da ist, läuft nichts wie geplant … Thomas Strässle erzählt von der Macht der Liebe gegen die Übermacht der Systeme. Er erzählt eine wahre Geschichte, bei der einem regelmässig der Atem stockt – die Geschichte zweier junger Menschen, die alles aufs Spiel setzen, die Geschichte seiner Eltern.
Fazit: eine wahre Geschichte, wie sich die heutigen Jungen kaum vorstellen können, wunderbar erzählt und erst noch spannend. Eine Leseempfehlung.
1.
Deutsche Literatur 🇩🇪
Das achte Leben *
von Nino Haratischwilie, S 1280
„Ein Solitär in der deutschen Gegenwartsliteratur.“ Deutschlandfunk. Dieser Roman ist über die Literaturwelt gekommen wie ein Naturereignis: ein wuchtiges Familienepos, das am Beispiel von sechs Generationen ausserge-wöhnlicher Frauen das ganze pralle 20. Jahrhundert mit all seinen Umbrüchen und Dramen, Kata-strophen und Wundern erzählt. Vom Georgien am Vorabend des Ersten Weltkriegs bis ins Deutschland zu Anfang des neuen Millenniums spannt Nino Haratischwili den Bogen. Alles beginnt mit Stasia, Tochter eines angesehenen Schokoladenfabri-kanten. Mit ihrer Geburt setzt die Geschichte ein, die fortan wie ein gewaltiger Strom mit unzähligen Nebenarmen und Verwirbelungen durch Europa zieht und den Leser bis zur letzten Seite in ihrem Sog gefangen hält.Ein unvergessliches, überwältigendes Leseerlebnis.
Fazit: dieser Roman ist vor allem wegen seinem geschichtlichen Hintergrund sehr interessant. Auch die Figuren des Familienromans über mehrere Generationen sind sehr schön ausgearbeitet. Leider bin ich in einem Monat Lesezeit nicht sehr weit fortgeschritten, da Vieles bis ins kleinste Detail beschrieben wird und somit der Geschichte etwas „Drive“ nimmt. Eigentlich eine Leseempfehlung mit viel Geduld.