bücher gelesen 2024
52.
Österreichische Literatur 🇦🇹
Reise nach Lado *
von Arno Geiger, S 272
Was bleibt, wenn man nicht mehr ist, was man ein Leben lang war? Der neue grosse Roman von Arno Geiger über das, worauf es im Leben wirklich ankommt: die Freundschaft, die Liebe und das Loslassen. Nominiert für den österreichischen Buchpreis 2024: In jedem Menschen steckt ein zurückgetretener König.“ Karl hat sich in ein abgelegenes Kloster in Spanien zurückgezogen. Er ist krank und wartet auf sein Ende. Doch dann begegnet er dem elfjährigen Geronimo, und gemeinsam be-schliessen sie, davonzureiten, nachts, auf Pferd und Maulesel. Sie geraten in wilde Abenteuer, finden Weggefährten auf dem Weg nach Laredo. Karl lernt kennen, was er trotz Macht, Ruhm und Reichtum bisher nicht hatte: Freundschaft, Liebe, Unbeschwertheit und die Freiheit, die es bedeutet, nur im Moment zu leben. "Reise nach Laredo" ist ein fantastischer, magischer Roman über das Loslassen, über das, worauf es im Leben ankommt – und vor allem eine mitreissende Geschichte.
Fazit: sehr schwer zu lesen.
51.
Amerikanische Literatur 🇬🇧
Treibgut *
von Brodeur Adrienne, S 464
Ein fesselnder Roman über eine komplizierte Familie und lang gehütete Geheimnisse. Sommer auf Cape Cod. Alle Mitglieder der Familie Gardner verheimlichen etwas. Ken, ein erfolgreicher Geschäftsmann mit Vorzeigefamilie und politischen Ambitionen, versucht mit aller Macht, seine Ehekrise zu verbergen. Abby ist Künstlerin und schämt sich dafür, immer noch auf das Wohlwollen ihres Bruders angewiesen zu sein. Adam, der Vater der zwei, sieht unterdessen seinem 70. Geburtstag entgegen. Um ein letztes Mal als Forscher zu glänzen, setzt der brillante Meeresbiologe heimlich seine Medikamente ab - mit fatalen Konsequenzen. Während Adams Festtag unaufhaltsam näher rückt, verschärfen sich die Konflikte zwischen den Geschwistern. Dann erscheint eine Unbekannte auf der Bildfläche, und bringt alles, woran Abby und Ken geglaubt haben, zum Einsturz.
Fazit: über eine so „verrückte“ Familie habe ich noch nie gelesen. Dies ist kein seichter Familienroman, sondern eine Familiengeschichte mit vielen Baustellen, über die zu wenig geredet wird. Temporeich und spannend geschrieben.
50.
Deutsche Literatur 🇩🇪
Maifliegenzeit *
von Matthias Jügler, S 160
»Feinfühlig und zugleich kraftvoll erzählt Matthias Jügler in diesem spannenden Roman davon, dass die Vergangenheit nie vorbei ist.« Julia Schoch
Für Katrin und Hans wird der Alptraum aller Eltern wahr: Nach der Geburt verlieren sie noch im Krankenhaus unweit von Leipzig ihr erstes Kind – und kurz darauf auch sich als Paar. Denn Katrin quälen Zweifel an der Darstellung der Ärzte, Zweifel, von denen Hans nichts wissen will. Als Katrin Jahre später stirbt, wird klar, dass sie mit ihren Befürchtungen womöglich Recht hatte. Bei seinen Recherchen, die ihn tief in die Geschichte der DDR führen, stösst Hans auf Ungereimtheiten und eine Mauer des Schweigens. Klären kann er all seine Fragen in Zusammenhang mit dem Tod des Säuglings nicht, doch der Gedanke daran, in einem entscheidenden Moment seines Lebens versagt, etwas versäumt, einen Fehler begangen zu haben, lässt ihn künftig nicht mehr los. Da klingelt eines Tages das Telefon und sein Sohn ist am Apparat. Aufgewachsen in einer Adoptivfamilie, unterscheidet sich seine Vorstellung von der Vergangenheit grundlegend von dem, was Hans ihm erzählt. Wird sich die Kluft, die das Leben in einem Unrechtsstaat und vierzig fehlende gemeinsame Jahre gerissen haben, wieder schliessen lassen?
Matthias Jügler zeichnet das bewegende Porträt eines traumatischen Verlustes, erzählt von folgenschweren Zweifeln, von der Kraft des Neubeginns und dem heilsamen Erleben der Natur. Ein feinsinniger Familienroman über ein dunkles Kapitel ostdeutscher Geschichte. – »Wahrhaftig und voller Hoffnung.« Anne Rabe
Fazit: eine unglaubliche, aber wahre Geschichte, berührend und schön geschrieben.
49.
Schweizer Jugend/Erwachsenenbuch
Mittelstreifenblues 🇨🇭
von Alice Gabathuler, S 308
Kurz nach den Sommerferien taucht im Bergdorf Ronda ein Bauspekulant auf: Conradin Annen, der als junger Mann aus dem Tal vertrieben wurde. Er bringt seine erfolgreiche Frau und seine attraktiven Stiefsöhne mit – und Geld, sehr viel Geld. Seine Pläne spalten schon bald das Dorf. Um sein Luxusresort bauen zu können, fehlt ihm aber noch ein Grundstück: das Land mit dem Haus am Dorfeingang, in dem die 15-jährige Jelscha, ihr Onkel Jonny und der alte Cla leben. Für Jelscha und ihren besten Freund Elia ändert sich in diesen Monaten alles: Sie erleben beide, was es bedeutet, verliebt zu sein, und wie man den Mut findet, den eigenen Weg zu gehen. Jelscha verlässt das Dorf und schenkt Elia ein Buch voller Songs und Gedichte. Doch Elia hält noch etwas im Dorf. Alice Gabathuler erzählt eine packende Geschichte, die auf wahren Begebenheiten basiert.
Fazit: ein tolles Buch für Jugendliche.
48.
Japanische Literatur 🇯🇵
Das Buch der Schwestern *
von Amélie Nothomb, S 159
Nora und Florent lieben sich so innig, dass sie in ihrem Herzen keinen Platz mehr übrighaben. Auch nicht für ihre erste Tochter. Das Mädchen muss schon früh allein zurechtkommen. Deshalb ist sie überglücklich, als ihre Schwester geboren wird. Die beiden geben sich, was die Eltern ihnen vorenthalten: Wärme und Gebo-genheit. Als die Ältere beschliesst, ihren eigenen Weg zu gehen, wird die Schwesternliebe auf die Probe gestellt.
Fazit: eine kurze, aber rabenschwarze Familiengeschichte, gut und spannend geschrieben.
47.
Schweizer Literatur 🇨🇭
Moosflüstern *
von Joachim B. Schmidt, S 288
Im Juni 1949 brachte der Dampfer »Esja« rund 200 Frauen aus Deutschland nach Island, wo sie sich als Dienstmädchen auf Bauernhöfen verdingten. Darunter auch Heinrich Liebers Mutter, von der er immer geglaubt hatte, sie sei nach seiner Geburt gestorben. 40 Jahre später ist Heinrich Bauingenieur, verheiratet, doch sein Leben gerät auf einmal ins Wanken. Der sonst so korrekte Mann fasst einen überstürzten Entschluss und reist nach Island, wo er sich auf die Suche nach seiner Herkunft macht.
Fazit: ein Roman nach meinem Geschmack. Ein Roman der alles hat was für mich ein guter Roman ausmacht: interessant weil er uns in neue Welten mitnimmt, zügig geschrieben, so dass man vorankommt mit Lesen, mit Tiefgang, weil man zum Nachdenken angestossen wird.
46.
Österreichische Literatur 🇦🇹
Der letzte Satz *
von Robert Seethaler, S 128
"Es geht mal wieder um alles – Wie habe ich gelebt? Was habe ich verpasst? Kein Buch über das Scheitern, sondern über das was bleibt!" Dörte Hansen. An Deck eines Schiffes auf dem Weg von New York nach Europa sitzt Gustav Mahler. Er ist berühmt, der grösste Musiker der Welt, doch sein Körper schmerzt, hat immer schon geschmerzt. Während ihn der Schiffsjunge sanft, aber resolut umsorgt, denkt er zurück an die letzten Jahre, die Sommer in den Bergen, den Tod seiner Tochter Maria, die er manchmal noch zu sehen meint. An Anna, die andere Tochter, die gerade unten beim Frühstück sitzt, und an Alma, die Liebe seines Lebens, die ihn verrückt macht und die er längst verloren hat. Es ist seine letzte Reise. "Der letzte Satz" ist das ergreifende Porträt eines Künstlers als müde gewordener Arbeiter, dem die Vergangenheit in Form glasklarer Momente der Schönheit und des Bedauerns entgegentritt.
Fazit: ein schönes Leseerlebnis, aber das wars dann auch.
45.
Deutsche Literatur 🇩🇪
Mein drittes Leben *
von Daniela Krien
Nominiert für den Deutschen Buchpreis 2024! Sie hat alles gehabt und alles verloren: Sekunden der Unachtsamkeit kosten ihre einzige Tochter das Leben. Tief sieht Linda in den Abgrund und wäre beinahe gefallen, doch da sind hauchfeine Fäden, die sie halten – die Hündin Kaja, die steten Handgriffe im Garten, das Mitgefühl für andere. Wie viel Kraft in ihr steckt, ahnt sie erst, als sie zurückfindet in einen Alltag und zu sich selbst.
Fazit: wundervoll geschriebener Roman, oft sehr traurig, viel Krankengeschichte, darum nicht für jedermann.
Zitat: Mit nur einem Kind bleiben die Frei-
heiten gross, mit keinem Kind sind sie grenzenlos. Doch ohne das Gebundenen ist das Freisein ohne Wert.
44.
Belgische Literatur
Der ehrliche Finder *
von Lize Spin, S 128
Vom Glück, einen echten Freund zu haben, von Kindheit, Hoffnung und Verzweiflung –
eine Geschichte aus dem Herzen unserer Gegenwart.
Seit er vor einem Jahr in Bovenmeer angekommen ist, sitzt Tristan in der Schule neben Jimmy, der klüger und einsamer ist als alle andere und es sich zur Aufgabe macht, Tristan Ibrahimi durch das
Schuljahr zu begleiten. Denn der hat nicht nur einen Krieg erlebt und eine Flucht durch ganz Europa, sondern er hat auch das, wonach Jimmy sich am meisten sehnt: eine intakte, grosse
Familie, die Halt und Geborgenheit bietet.Gemeinsam bauen sie sich ihre eigene Welt voller geheimer Orte und einer Sprache, die beide verstehen, eine Welt, in der Freundschaft möglich ist.
Bis jemand eine Entscheidung trifft, die nicht nur ihre Welt gefährdet und Jimmy und Tristan alles abverlangt.
»›Der ehrliche Finder‹ ist ein literarisches Juwel, das die beste Werbung für die Kraft von Literatur ist.« Het Nieuwsblad» Lize Spit ist eine Meisterin im Aufbau von Spannung.«
Fazit: eine Geschichte die einem ans Herz geht und gar nicht kitschig!
43.
Deutsche Literatur 🇩🇪
Der Trost der Schönheit *
von Gabriele von Arnim, S 224
Trost finden. In einer Welt, die so überwältigend, ängstigend, fordernd sein kann. Trost finden im Empfinden von Schönheit, weil das, so Gabriele von Arnim, nicht weniger ist als Selbsterhalt. «Ich brauche Schönheit. Den Trost der Schönheit. Denn wenn ich Schönheit sehe, höre, lese, spüre, dann glaube ich an Möglichkeiten. An Wege, Räume, Purzelbäume.»
Der Trost der Schönheit ist eine schillernde Verbindung aus autobiografischem und essayistischem Erzählen: keine Kulturgeschichte, die ihren Gegenstand mit Theorie einhegen will, sondern eine literarische Spurensuche. Gabriele von Arnim fragt nach den Formen und Wirkungen dessen, was wir schön nennen; nach dem Glück und den dunklen Seiten der Empfindsamkeit. Die Suche führt zurück in die Kindheit, zu einem Mädchen aus kühl geführtem Haus, das erst lernen muss, zu fühlen, um Schönheit – einen tröstlichen Moment lang – in all ihrer endlichen Fülle wahrnehmen zu können. Nach dem Spiegel-Bestseller "Das Leben ist ein vorübergehender Zustand" ein neuer bewegender Bericht aus dem Innern. Ein Buch, das den Blick weitet für die Welt um uns und ihre Vergänglichkeit, das Mut macht zum Aushalten von Ambivalenz. Fazit: ein Buch das man gelesen haben muss. Versöhnlich und tröstend.
42.
Irische Literatur 🇮🇪
Das Lied des Propheten *
von Paul Lynch, S 320
»Wenn es so etwas wie ein zentrales Buch für unsere Zeit gibt, dann ist es dieses. Brillant und Eindringlich« The Observer. An einem regennassen Abend in Dublin öffnet die Wissenschaftlerin und vierfache Mutter Eilish Stack ihre Haustüre und steht zwei Beamten der neu gegründeten irischen Geheimpolizei gegenüber. Sie sind gekommen, um ihren Mann Larry, einen bekannten Gewerkschafter, zu verhören. Kurz nach dieser Begegnung verschwindet Larry, und sehr schnell beginnen die Dinge in Eilishs Welt aus dem Ruder zu laufen.Irland befindet sich in der Gewalt einer Regierung, die auf dem Weg in die Tyrannei ist. Eilish findet sich in der alptraumhaften Logik einer kollabierenden Gesellschaft wieder, angegriffen von unsichtbaren Kräften, die sich ihrer Kontrolle entziehen. Sie ist gezwungen, alles zu tun, um ihre Familie zu schützen und alle zusammenzuhalten. Wie soll sie ihren Kindern erklären, was passiert ist, wenn sie nach dem Vater fragen? Wie wird ihr eigener zunehmend dementer Vater auf die gravierenden Veränderungen seines Alltags reagieren? Und wie weit wird Eilish selbst gehen, um sich und ihre Familie zu retten? »Das Lied des Propheten« ist ein atemloses Porträt einer Familie am Rande der Katastrophe, das stilistisch und emotional seinesgleichen sucht. Paul Lynchs meisterhafter Roman ist das Buch der Stunde – und ein Appell, die entstehenden autoritären Regime der Gegenwart zu bekämpfen.
Fazit: ich habe noch nie, Kriegsgeschehen, so hautnah, aufwühlend und persönlich beschrieben bekommen. Das tut richtig weh. Ein wichtiges Buch, das in einem fiktiven Umfeld erzählt, wie schnell sich eine Diktatur etabliert. Ich kann keine Buchempfehlung abgeben, da muss jeder selber entscheiden, will er sich mit diesem Thema auseinandersetzten.
41.
Deutsche Literatur 🇩🇪
Die Geschichten in uns
von Benedict Wells, S 400
Ein Buch wie eine persönliche Begegnung. Benedict Wells erzählt von der Faszination des Schreibens und gibt einen tiefen Einblick in sein Leben, von seiner Kindheit bis zu seinen ersten Veröffentlichungen. Anhand eigener und anderer Werke zeigt er anschaulich, wie ein Roman entsteht, was fesselnde Geschichten ausmacht und wie man mit Rückschlägen umgeht. Ein berührendes, lebenskluges und humorvolles Buch – für alle, die Literatur lieben oder selbst schreiben wollen.
Fazit: Schönes Buch, der erste Teil war für mich interessant, der zweite Teil hab ich nicht gelesen, da ich kein Buch schreiben möchte.
40.
Britische Literatur 🇬🇧
Western Lane *
von Chetan Mario, S 192
»Western Lane« erzählt die Geschichte von Gopi, der jüngsten von drei Schwestern, die mit ihrem Vater am Stadtrand von London leben. Ihre Mutter ist vor Kurzem gestorben, niemand in der kleinen indischen Einwandererfamilie weiss so recht, wie es weitergehen soll. Die Trauer des Vaters ist spürbar, aber er spricht nicht darüber. Weit weg in Edinburgh machen sich Gopis Onkel und seine Frau Sorgen: Da die beiden keine Kinder bekommen können, wollen sie am liebsten Gopi zu sich holen und sie wie ihre eigene Tochter aufziehen. In der Western Lane, dem örtlichen Freizeitzentrum, kämpft Vater der Mädchen indes auf seine Weise um den Zusammenhalt der Familie: Zwei, drei, vier Stunden spielt er abends, nach der Schule, mit ihnen Squash. Tag für Tag. Und Gopi ist talentiert. Das kleine, durch vier Wände begrenzte Feld wird für sie zu einem Fluchtpunkt. Hier kann sie sich mit ihrem Vater ohne Worte austauschen. Hier kann sie ihre Traurigkeit für kurze Zeit vergessen. Hier kämpft sie darum, dass alles wieder gut wird.
Fazit: ich kann mich für diesen Debütroman leider nicht begeistern.
39.
Schweizer Literatur 🇨🇭
Hundert Tage im Frühling *
von Eric Bergkraut, S 208
Eine Frau ist krank, sie wird sterben. Ihr Ehemann begleitet sie. Die Reise geht über hundert Tage, sie führt in drei Kliniken, zu zahlreichen Ärztinnen und Ärzten und schliesslich nach Hause. Die Frau ist Ruth Schweikert, sie hat vor Jahren über ihre Krebserkrankung ein Buch geschrieben, «Tage wie Hunde». Eric Bergkraut schreibt das Buch fort, es wird zur Hommage auf seine Partnerin. Direkt und behutsam zugleich beschreibt er den gemeinsamen Weg. Er blendet zurück auf ein gemeinsames Leben mit Höhen und Tiefen, die erste Begegnung steht neben den letzten Gesten. «Hundert Tage im Frühling» ist das berührende Dokument eines Abschieds. Und wird zugleich zu einem Lebensbuch, das Mut spendet. Vielleicht nicht auf ein anderes Leben nach dem Tod. Aber auf das Leben bis dahin.
Fazit: nicht fertige gelesen, lohnt sich nicht.
38.
Brasilianische Literatur
Was von meinem Vater bleibt *
von José Henrique Bortoluci, S 175
Was der Familie bleibt, sind nur zwei Postkarten und ein paar vergilbte Rechnungen. Fünfzig Jahre lang hat Didi, der Vater von José Henrique Bortoluci, als LKW-Fahrer in Brasilien gearbeitet und Hunderttausende von Kilometern zurückgelegt, immer auf der Strasse, immer allein, weit weg von der Familie. In diesem Buch lässt Bortoluci seinen Vater erstmals von seinen Erlebnissen erzählen. Er schafft das Porträt eines einfachen Mannes, der den Bau der Transamazônica, die Abholzung des Regenwalds, den rasanten Ausbau des Landes und die Spuren des vermeintlichen Fortschritts erlebt hat. Die Strecke, die Didi mit dem LKW zurücklegt, ist dabei auch die Kluft, die sich zwischen seinem Leben und dem seines Sohnes, dem der soziale Aufstieg gelingt, auftut. Eine berührende Hommage an die Beziehung von Vater und Sohn, und an ein Leben, das bleibt. »Eine herausragende Geschichte über Männlichkeit, Vaterschaft und über den sozialen Aufstieg von Bortoluci, dem Sohn von Eltern, die keinen Zugang zu Bildung hatten.« Folha de S. Paulo
Fazit: ein berührendes Buch, wenn der Autor seinen Vater erzählen lässt, wenn der Autor von sich und seiner Kindheit schreibt und ein informatives Sachbuch, wenn der Autor über Politik, den Einwanderer und der indigenen Bevölkerung schreibt. Eine Leseempfehlung!
37.
Amerikanische Literatur 🇬🇧
Stay True *
von Hua Hsu, S 232
Es ist das Jahr 1995, Hua Hsu ist achtzehn und sucht seinen Platz, seine Leute. »Ich wollte den Eindruck vermitteln, dass ich mich mit meiner Stimme wohl fühlte.« Er ist stolz darauf, gegen den Strom zu schwimmen. Er gibt Zines heraus, durchstöbert die Plattenläden der Bay Area, erstellt Mixtapes, kauft seine Kleider aus zweiter Hand. Als er Ken zum ersten Mal trifft, findet er alles an ihm öde. Ken mag Abercrombie &Fitch, Pearl Jam, ist in einer Studentenverbindung, hat eine »konventionell attraktive« Freundin, geht gerne aus, hat gute Manieren. Alles so fürchterlich Mainstream. Die beiden haben auch ganz unterschiedliche familiäre Hinter-gründe, obwohl sie beide als Asian-American gelesen werden. Huas Eltern kamen fürs Studium aus Taiwan, während Kens japanisch-amerikanische Familie schon seit Generationen in den USA lebt und sich Ken, aus Huas Sicht, längst nahtlos in die amerikanische Kultur eingegliedert hat. Trotz allem werden Hua und Ken Freunde. Eine Freundschaft, die auf langen Fahrten entlang der kalifornischen Küste und bei nächtlichen Gesprächen auf Raucherbalkonen stetig wächst. »Eine neue Schachtel Zigaretten, noch einmal zwanzig Gespräche.« Und dann ist Ken plötzlich nicht mehr da, wird unerwartet und sinnlos Opfer eines Verbrechens, nicht einmal drei Jahre nach dem Tag, an dem sie sich zum ersten Mal trafen. Entschlossen, die Erinnerungen an einen seiner engsten Freunde zu bewahren, beginnt Hua zu schreiben, denn er weiss nun: »Zu sich selbst zu finden, gelingt nicht in einem Vakuum.« Stay True ist ein bestärkendes Memoir über das Erwachsenwerden, eine Nachruf auf die Jugend, diese Suche nach Sinn und Zugehörigkeit, und ein Zeugnis grosszügigster Freundschaft.
Fazit: ich habe das Buch nicht fertig gelesen, nicht so mein Thema.
36.
Irische Literatur 🇮🇪
Long Island *
von Cola Tólbín, S 320
Die neue grosse Liebesgeschichte von Colm Tóibín, dem Autor des Welterfolges „Brooklyn".
Ein Mann und eine Frau treffen sich nach fast zwanzig Jahren wieder - und stehen noch einmal vor der Entscheidung ihres Lebens. Eilis lebt in Long Island mit ihren Kindern und Tony, für den sie ihre Jugendliebe Jim in Irland zurückliess. Als sie erfährt, dass Tony sein uneheliches Kind in der gemeinsamen Familie aufziehen will, bricht sie in ihre Heimat auf. Dort holen sie ihre alten Gefühle ein. Mit atemberaubender Intensität und psychologischer Klarsicht erzählt Tóibín von dem Versteckspiel, das sich zwischen den ehemaligen Liebenden entspinnt. Der neue Roman des Autors von "Brooklyn" ist ein Meisterwerk der Erkundung widersprüchlichster Gefühle: mitreissend, aufwühlend, unwiderstehlich.
Fazit: hier hat Autor Tóibín richtig angestrichen mit den vielen Charakteren, die sich selbst und die anderen Mitspieler hintergehen mit Ränke- und Versteckspielen, eigenen Träumen und Illusionen. Toller Roman, leider bekommt er erst im letzten Drittel richtig Drive. Vorher braucht es Geduld.
35.
Britische Literatur
Die Mitternachtsbibliothek *
Matt Haig, S 320
Stell dir vor, auf dem Weg ins Jenseits gäbe es eine riesige Bibliothek, gefüllt mit all den Leben, die du hättest führen können. Alles, was du jemals bereut hast, könntest du ungeschehen machen. Genau dort findet sich Nora Seed wieder, nachdem sie aus lauter Verzweiflung beschlossen hat, sich das Leben zu nehmen. An diesem Ort zwischen Raum und Zeit, an dem die Uhrzeiger immer auf Mitternacht stehen, hat sie plötzlich die Möglichkeit, all das zu ändern, was sie aus der Bahn geworfen hat. Aber kann man in einem anderen Leben glücklich werden, wenn man weiss, dass es nicht das eigene ist? Matt Haigs zauberhafter Roman erzählt davon, dass uns selbst Entscheidungen, die wir später bereuen, zu den Menschen machen, die wir sind. »Die Mitternachtsbibliothek« ist eine Liebeserklärung an all unsere Eigenheiten und Besonderheiten, an das einzige Leben, das wir haben.
Fazit: das ist Ferienlektüre mit Kitschanteil, nicht so mein Styl.
34.
Norwegische Literatur 🇳🇴
Diamant Nächte *
von Hilde Roth-Larsen, S 240
Agnete hat die Kontrolle. Die Tage folgen einem festen Rhythmus, sie hat einen guten Job, ihr Körper tut, was man ihm sagt. Sie ist zum zweiten Mal verheiratet und hat eine Tochter, die bald erwachsen sein wird. Doch dann fallen Agnete die Haare aus. Eines Herbstmorgens fährt ihr Mann ins Ausland und kommt erst an Weihnachten zurück. Agnete findet die Ruhe, um nach Worten für das zu suchen, was ihr Körper ihr schon seit einiger Zeit zu sagen versucht.Sie versucht, sich selbst als junge Studentin in London wiederzufinden. Wie sehr sie sich danach sehnte, gesehen zu werden. Und wie sie sich in jenen Jahren in eine Dunkelheit verirrte, die sich als Licht tarnte.In Diamantnächte geht es um Täuschung und Selbstbetrug, psychologische Verletzlichkeit, toxische Beziehungen, die allmähliche Erkenntnis von Wahrheit und Lüge, es geht um die Enttarnung der Geschichten, die wir uns über uns selbst erzählen und um eine Frage, die so viel machtvoller ist, als wir glauben: Wie geht es dir eigentlich? Ein Roman über unser Bedürfnis, gesehen zu werden, und die Notwendigkeit, uns von den Blicken anderer zu befreien. Fazit: schwere Kost und schwer zu verstehen.
33.
Deutsche Literatur 🇩🇪
Der Markiesenmann *
von Jan Weiler, S 336
Was wissen wir schon über unsere Eltern? Meistens viel weniger, als wir denken. Und manchmal gar nichts. Die fünfzehnjährige Kim hat ihren Vater noch nie gesehen, als sie von ihrer Mutter über die Sommerferien zu ihm abgeschoben wird. Der fremde Mann erweist sich auf Anhieb nicht nur als ziemlich seltsam, sondern auch als der erfolgloseste Vertreter der Welt. Aber als sie ihm hilft, seine fürchterlichen Markisen im knallharten Haustürgeschäft zu verkaufen, verändert sich das Leben von Vater und Tochter für immer. Ein Buch über das Erwachsenwerden und das Altern, über die Geheimnisse in unseren Familien, über Schuld und Verantwortung und das orange-gelbe Flimmern an Sommerabenden.
Fazit: ein Roman zum Dahinschmelzen!
32.
Amerikanische Literatur 🇬🇧
Von guten Eltern *
von Richard Russo, S 567
North Bath, Upstate New York, steht vor grossen Veränderungen: Die Kleinstadt ist eingemeindet worden. Obendrein taucht in einem Hotel genau in der Mitte zwischen North Bath und Schuyler Springs – dem Annektierer – eine Leiche auf. Polizeichefin Charice Bond, die erste Schwarze Frau auf diesem Posten, ist aufs Äusserste gefordert, nicht nur weil sie ihren Ex (und ehemaligen Vorgesetzten) zur Aufklärung des Falls hinzuzieht. Unterdessen arbeitet sich College-Professor Peter Sullivan immer noch an seinem verstorbenen Vater ab – und sieht sich gleichzeitig mit der zerrütteten Beziehung zu seinem Sohn Thomas konfrontiert. Am anderen Ende von North Bath kämpfen Ruth und ihre Tochter Janey darum, ihre Familie zusammenzuhalten. Inmitten all dessen rätseln die Bewohner der Stadt, was es mit der nicht zu identifizierenden Leiche auf sich hat. Wer von ihnen könnte unbemerkt verschwunden sein? Richard Russo stellt sich in diesem Roman nicht nur der Frage, wie wir dem Fluch entkommen können, dass wir unseren Eltern immer ähnlicher werden – er zeigt den alternden Mann in der Krise und verhandelt Themen wie das Sterben amerikanischer Kleinstädte, Rassismus und Polizeigewalt. In ›Von guten Eltern‹ kehrt er zurück zu den Figuren aus ›Ein grundzufriedener Mann‹ und ›Ein Mann der Tat‹ und zeichnet dabei das Porträt einer Arbeitergemeinde im Wandel.
Fazit: Richard Russo schreibt eingänglich über interessante Themen.Leider so ausschweifend, dass jede Spannung dahin fällt. Nur ein Drittel des Buches gelesen.
12.
Französische Literatur 🇫🇷
Die Postkarte *
von Anne Berest, S 544
Im Januar 2003 fand Anne Berests Mutter unter den Neujahrswünschen eine verstörende Postkarte mit nichts als den Namen ihrer vier Angehörigen, die in Auschwitz ermordet wurden; ohne Absender, ohne Unterschrift. Anne fragt nach und die Mutter erzählt ihr die tragische Geschichte der Familie Rabinovitch. Aber erst als ihre kleine Tochter in der Schule Antisemitismus erfährt, beschliesst Anne, der Sache wirklich auf den Grund zu gehen. Mithilfe eines Privatdetektivs und eines Kriminologen recherchiert sie in alle erdenklichen Richtungen. Das Ergebnis ist dieser Ausnahmeroman. Er zeichnet nicht nur den ungewöhnlichen Weg der Familie nach, sondern fragt auch, ob es gelingen kann, in unserer Zeit als Jüdin ein »ganz normales« Leben zu führen. Anne Berest geht dem Schicksal ihrer eigenen Familie nach – und landete damit einen preisgekrönten literarischen Coup, der seit Erscheinen im Herbst 2021 auf der französischen Bestellerliste steht.
Fazit: ich habe schon viele Bücher über den Holocaust gelesen, aber noch keines wie diesen Schmöker. Brilliant komponiert und spannend wie ein Krimi.
31.
Deutsch/Türkische Literatur 🇩🇪
Babas Schweigen *
von Oelze Cimen, S 120
Die Erzählerin Özlem reist als Erwachsene mit ihrem Ehemann in das ostanatolische Dorf, in dem sie als Kind unbeschwerte Sommerferien bei den Grosseltern verbrachte. Beiläufig erwähnt ihr Onkel, dass der Ort einst von Armenier:innen bewohnt war. Erst jetzt wird ihr bewusst, dass ihre Grosseltern, selbst Angehörige einer Minderheit, nicht schon immer in diesem Dorf lebten. Doch wie hängt ihre Familiengeschichte mit dem Genozid an den Armenier:innen zusammen? Wie aus einem tiefen Schlaf erwacht, beginnt sie zu forschen, bis sie endlich den Mut fasst, ihren Vater mit der Vergangenheit zu konfrontieren. Die vagen Ahnungen der Kindheit – die unerklärbare Melancholie der Menschen im Dorf, die Geschichten über den roten Fluss – verdichten sich zunehmend zu einer schrecklichen Erkenntnis über Verfolgung und den Verlust von Sprache und Kultur. Subtil und berührend verwebt Özlem Çimen dabei Vergangenheit und Gegenwart zu einer einzigartigen Geschichte über Unschuld, Unterdrückung und Überleben.
Fazit: schon aufgebauter Roman mit je einem Kapitel aus der Kindheit und aus der Gegenwart. Man erfährt viel über die Gastarbeiterkinder, welche in den Ferien jeweils zu den Grosseltern und deren Kultur in die Ferien gingen und wie sie zu ihren Wurzeln kommen können oder auch nicht.
30.
Schweizer Literatur 🇨🇭
Seinetwegen *
von Zora del Buono, S 204
Zora del Buono war acht Monate alt, als ihr Vater 1963 bei einem Autounfall starb. Der tote Vater war die grosse Leerstelle der Familie. Mutter und Tochter sprachen kaum über ihn. Wenn die Mutter ihn erwähnte, brach die Tochter mit klopfendem Herzen das Gespräch ab. Sie konnte den Schmerz der Mutter nicht ertragen. Jetzt, inzwischen sechzig geworden, fragt sie sich: Was ist aus dem damals erst 28-jährigen E.T. geworden, der den Unfall verursacht hat? Wie hat er die letzten sechzig Jahre gelebt mit dieser Schuld?
"Seinetwegen" ist der Roman einer Recherche: Die Erzählerin macht sich auf die Suche nach E.T., um ihn mit der Geschichte ihrer Familie zu konfrontieren. Ihre Suche führt sie in dunkle, abgründige Gegenden, in denen sie Antworten findet, die neue Fragen aufwerfen. Was macht es mit ihr, dass sie plötzlich mehr weiss über ihn, den Mann, der ihren Vater totgefahren hat, als über den Vater selbst? Und wie kann man heil werden, wenn eine Leerstelle doch immer bleiben wird?
Fazit: sehr schön geschriebener Roman, in einer speziellen Form, eigentlich fast wie im Selbstgespräch geschrieben. Lohnt sich auf jeden Fall zu lesen.
29.
Deutsche Literatur 🇩🇪
Ein Leben lang *
von Julia Grosse, S 240
Mehr als siebzig Jahre lang waren Julia Grosses Grosseltern ein Paar. Ihre Liebe erschien ihr als das Mass aller Dinge. An ihnen hat sie jede ihrer Beziehungen gemessen und sich immer wieder gefragt: Wie hält man eine so tiefe Verbundenheit über ein ganzes Leben aufrecht? Besonders in einer Zeit, in der es zahlreiche Beziehungsmodelle gibt, die längst nicht alle einen Ewigkeitsanspruch haben. Und was für Wege gab es neben dem ihrer Grosseltern? Um diese Fragen zu beantworten, ist Julia Grosse quer durch Deutschland und bis nach New York gereist. Sie hat Liebespaare getroffen, die auch nach vielen Jahren, tiefen Einschnitten und gemeisterten Krisen in der Gewissheit leben, ihren Seelenverwandten gefunden zu haben. Herausgekommen sind hinreissende Porträts die zeigen, dass die Liebe zwar nicht immer wie im Märchen verläuft, dass man aber trotz allem gemeinsam glücklich bis ans Lebensende sein kann. Fazit: interessante Leben lernt man in diesem Buch kennen.
28.
Deutsche Literatur 🇩🇪
Nachts ist es leise in Teheran
von Shira Bazyar, S 288
Vier Familienmitglieder, vier Jahrzehnte, vier unvergessliche Stimmen. Aufwühlend und anrührend erzählt Shida Bazyar die Geschichte einer iranisch-deutschen Familie, die ihren Anfang 1979 in Teheran nimmt und den Bogen spannt bis in die deutsche Gegenwart. Von Behsad, dem jungen linken Revolutionär, der in der mutigen, literaturbesessenen Nahid die Liebe seines Lebens findet. Von ihrer Flucht nach der Machtübernahme der Mullahs. Und von ihren Kindern, Laleh, Mo und Tara, die in Deutschland aufwachsen und zwischen den Welten zu Hause sind. Ein bewegender Roman über Revolution, Unterdrückung, Widerstand und den unbedingten Wunsch nach Freiheit.
Fazit: sehr schön und feinfühlig geschrieben, aber etwas langfädig.
27.
Deutsche Literatur 🇩🇪
Herr Kiyak dachte, jetzt fängt
der schöne Teil des Lebens an
von Mely Kiyak, S 224.
Was bleibt, wenn einem der Vater durch die Finger rieselt? Herr Kiyak, ein fabelhafter Geschichtenerzähler, bekommt Krebs und will sterben. Aber er hat eine Tochter – und was für eine: Sie macht sein Schicksal zu ihrem und lässt ihn nicht ziehen. Immerhin hat man nur einen Vater. Mely Kiyak erzählt von einer Zeit, in der es um alles geht. Von Herrn Kiyaks Überlebenskampf in Berlin und seinen Cowboystorys aus Bingöl. Von unendlichem Schabernack und grossem Kummer. Sie erzählt wahrhaftig, schön und eigensinnig von Vaterliebe und Tochterangst und davon, dass es die Geschichten sind, die bleiben. Und natürlich von seinen berühmten Zwei-Zeilen-Briefen: „Ich küsse dich mein Kind. Dein Vater.“ „Das Vaterbuch ist ein Text über Krankheit, Verlust und Verzweiflung. Wie in "Frausein" geht es um Abschied. Und um den Witz als Widerstand. "Frausein" und das Vaterbuch sind zwei Texte, aber ein Erzählkörper. Ein Leid, ein Lachen, ein Sterben.“ Mely Kiyak.
Fazit: ein sehr schön geschriebenes Buch, humorvoll, gefühlvoll und man lernt nebenbei vieles über das türkisch/kurdische Familienleben. Hauptthema bleibt natürlich das Sterben.
26.
Französische Literatur 🇫🇷
Wenn unsere Welt zerspringt *
von Sedira Samira, S 176
Ein fesselnder Roman nach einer wahren Begebenheit: Tiefgründig und sensibel beschwört die französische Schriftstellerin Samira Sedira die Schönheit eines kleinen Bergdorfs herauf - und die schockierenden Taten seiner Bewohner. Die Tage sind ruhig in Cormac, dem abgelegenen französischen Bergdorf, in dem Anna mit ihrem Mann Constant und den beiden Töchtern lebt. Bis die fünfköpfige Nachbarsfamilie Langlois grausam ermordet wird. Der Täter: Constant. Fassungslos versucht Anna zu begreifen, wie ihr Mann zu einer solchen Tat fähig sein konnte. Die neuen Nachbarn fielen auf im Dorf, durch ihren Reichtum und ihre Hautfarbe. Das Verhältnis zu ihnen war geprägt von Faszination und Bewunderung, aber auch von Neid und Rassismus. Anna muss sich die Frage stellen, ob sie die Tragödie hätte verhindern können …
Fazit: speziell komponierter Krimi, toll für die Ferien.
25.
Schweizer Literatur 🇨🇭
Martha und die Ihren
von Lukas Hartmann, S 304
Martha ist eine beeindruckende Frau, die es aus ärmsten Verhältnissen zu bescheidenem Wohlstand gebracht hat. Aber die Erinnerung an die Entbehrungen ihrer Kindheit als »Verdingkind« bei einer Bauernfamilie im Berner Umland lässt sie nie los: Keine Schwäche zeigen. Arbeiten ohne Unterlass. Hart sein zu sich und anderen. Das prägt auch ihre Söhne, die es in der Nachkriegszeit unbedingt zu etwas bringen wollen. Und ihre Enkel, die dagegen rebellieren und es erstmals wagen, sich ein anderes, ein freieres Leben zu erträumen.
Fazit: ein ganz besonderer, autobiographisch geprägter Roman, der sich lohnt zu lesen.
Deutsche Literatur 🇩🇪
Ein Mann seiner Zeit
von Roswitha Qudflieg, S 256
Wer bestimmt das Lebensende eines Menschen? Der Roman zu einem Thema, das in ganz Europa diskutiert wird. Der Protagonist Paul Gärtner bestellt sich einen Recorder und erzählt sein Leben. Deutsche Geschichte von 1945 bis 2020 im Brennglas. Er hat eine schwere Krankheit hinter sich, kämpft, noch als Pflegefall, für die Legalisierung von Sterbehilfe und die Freigabe von Natrium-Pentobarbital, erhebt sich, wieder genesen, eines Tages aus seinem Bett und macht sich auf den Weg. Auf einer kleinen Insel im Atlantischen Ozean beginnt ein neuer Lebens-abschnitt, wobei er vorgesorgt hat, um an seinem Tag X den Weg gehen zu können, für den er gekämpft hat.
Fazit: eine spezielle und interessante Lebensgeschichte, auf das Tonband gesprochen und danach niedergeschrieben, in einer speziellen Tonart, zu brisanten Themen.
Norwegische Literatur * 🇳🇴
Die Wahrheiten meiner Mutter
von Vigdis North, S 400
»Ein erschütternder und zwingender Roman über das gespannte Band zwischen Töchtern und Müttern.« The New York Times Book Review. Johanna ist keine gute Tochter. Um sich zu retten, hat sie die Familie verlassen. Jetzt, dreissig Jahre später, ist sie wieder zu Hause. Sie sucht Nähe, sie will den Kontakt zur Mutter erzwingen, doch die verweigert sich kühl jeder Annäherung. Heimgesucht von den Erinnerungen an die Kindheit zieht Johanna sich in eine einsame Hütte am Fjord zurück, wo es an ihr ist, die Verhältnisse zu ordnen und sich aus den familiären Zwängen zu befreien. Vigdis Hjorth erzählt drastisch von unseren zerrütteten Beziehungen, von Sehnsucht und Enttäuschung und davon, wie man der Vergangenheit begegnet, ohne sich selbst aufzugeben. »Eine der herausragendsten Autorinnen Norwegens.« The New Yorker.
Fazit: ein Volltreffer, unbedingt lesen!
22.
Schweizer Literatur 🇨🇭
Fang Spiele *
von Ursula Fricker S 224
Ines und Lenni, eine über Jahrzehnte gefestigte Liebe, eine vertrauensvolle Partnerschaft. Sie Dermatologin und er Landarzt, leben sie mit ihrer Tochter, die Cello spielt, im Berliner Umland. Von ihrem Haus aus ist in der Senke der schieferfarbene See zu sehen, kein grosser See, ein fehlendes Puzzleteil, wie Ines immer sagt, als fehlte ausgerechnet dort das letzte Puzzleteil der Erde. In ihr Leben, das der beste Freund eindeutig zu kitschig findet, platzt die charismatische Edda hinein. Mit ihrer Idee von absoluter Kunst wird sie für Ines zunehmend zum Faszinosum. Die spricht plötzlich von unerfüllten Jugendträumen und vernachlässigt alles, was ihr einmal wichtig war – ihre Tochter, ihren Beruf, Lenni. Als Edda sie für ein innovatives Theaterprojekt gewinnen will, lässt Ines ihr altes Leben fallen und stiehlt sich einfach davon.
Fazit: es dauerte einige Seiten bis ich mit der Geschichte etwas warm wurde. Ab der Mitte gefiel mir der Text besser. Aber ganz warm wurde ich nicht mit diesem Buch.
21.
Deutsche Literatur 🇩🇪
Altern *
von Elke Heidenreich, S 122
Das Leben lesen: Elke Heidenreich schreibt ganz persönlich über ein Thema, das uns alle betrifft. Ein ehrliches Buch über das Altern, das Mut macht.
Alle wollen alt werden, niemand will alt sein. Der Widerspruch ist absurd, das Leiden daran real. Wie lernen wir, so gut wie möglich damit zurechtzukommen? Geht das, alt werden und ein erfülltes Leben führen? Elke Heidenreich hat sich mit dem Altwerden beschäftigt. Herausgekommen ist dabei ein Buch, wie nur sie es schreiben kann. Persönlich, ehrlich, doch nie gnadenlos, mit einem Wort: lebensklug. Sie denkt über ihr eigenes Leben nach, und das heisst vor allem, über ihre Beziehungen zu anderen Menschen. Im Alter trägt man die Konsequenzen für alles, was man getan hat. Aber mit ihm kommt auch Gelassenheit, und man begreift: "Das meiste ist vollkommen unwichtig. Man sollte einfach atmen und dankbar sein.“
Fazit: genau so sprudelnd wie Elke Heidenreich spricht, schreibt sie auch. Anfang und Ende des Buches haben mir gefallen, der mittlere Teil hat einfach zuviele Zitate anderer Schriftsteller.
20.
Deutsche Literatur 🇩🇪
Der Fluss und das Meer *
von Natascha Wodin, S 192
Nach den grossen Romanerfolgen «Sie kam aus Mariupol» und «Nastjas Tränen» - Natascha Wodin erzählt in fünf Geschichten meisterhaft und mit grosser Dringlichkeit vom Gefühl des Fremdseins im eigenen Leben und schenkt ihren Figuren eine Heimat in der Literatur. In der Titelgeschichte zieht die Erzählerin eine Spur von Mariupol am Asowschen Meer, an dem ihre Mutter aufwuchs, bis zur Regnitz in Franken, dem Fluss, in dem diese sich das Leben nahm. Zu einer anderen Zeit in ihrem Leben verliebt sie sich in einen Fremden, mit dem sie die Magie der Musik verbindet, oder sie beobachtet eine verwahrloste Nachbarin, die ihre Umgebung wissentlich zugrunde gehen lässt. In Sri Lanka lernt sie Hunger und extremes Elend kennen, das die Welt sehenden Auges geschehen lässt, und in einer schweren existenziellen Krise zieht sie sich schliesslich in eine Einsiedelei in den südpfälzischen Weinbergen zurück und ringt dort mit einer dunklen inneren Macht. Natascha Wodin führt uns auf die Nachtseite des Lebens und gibt den Aussenseitern, den Einsamen und Verwundeten eine Stimme, die auch nach der Lektüre nicht verklingt.
Fazit: die Erzählungen sind sehr schön und speziell. Eine Leseempfehlung.
19.
Amerikanische Literatur 🇬🇧
Hallo du Schöne *
von Ann Napolitano, S 512
Gemeinschaft und Zugehörigkeit kennt William Waters nur vom Basketballplatz. Das ändert sich, als er am College die temperamentvolle Julia Padavano kennenlernt und sich in sie verliebt. Er, der eine unglückliche Kindheit erlebt hat, erfährt, was es heisst, eine Familie zu haben. Denn Julia und ihre drei Schwestern sind unzertrennlich und ihre Eltern immer präsent. William wird Teil des so herrlichen wie anstrengenden Chaos aus Liebe und Fürsorge. Zusammen überstehen die Schwestern den Tod des Vaters und den Weggang der Mutter. In allen Krisen geben sie einander Halt und erfreuen sich gemeinsam an Julias Glück mit William. Doch seine tiefe Einsamkeit wirft nicht nur Julias genau durchdachte Pläne für ihre gemeinsame Zukunft über den Haufen, sondern treibt auch die vier Schwestern auseinander – bis ein Schicksalsschlag ihren alten Zusammenhalt erfordert. Selten ist so mitreissend, so intelligent und zärtlich über Familie und Liebe, Schmerz und Heilung geschrieben worden, wie es Ann Napolitano in ›Hallo, du Schöne‹ gelungen ist.
Fazit: ein schöner Familienroman. Hat mir sehr gut gefallen, nie langweilig, aber ein Schmöker mit seinen 512 Seiten.
18.
Österreichische Literatur 🇦🇹
Das Philosophenschiff *
von Michael Köhlmeier, S 244
Mit diesem grossen Werk schliesst Michael Köhlmeier an seinen Bestseller „Zwei Herren am Strand“ an. Zu ihrem 100. Geburtstag lädt die Architektin Anouk Perleman-Jacob einen Schriftsteller ein und bittet ihn darum, ihr Leben als Roman zu erzählen. In Sankt Petersburg geboren, erlebt sie den bolschewistischen Terror. Zusammen mit anderen Intellektuellen wird sie als junges Mädchen mit ihrer Familie auf einem der sogenannten „Philosophenschiffe“ auf Lenins Befehl ins Exil deportiert. Nachdem das Schiff fünf Tage und Nächte lang auf dem Finnischen Meerbusen treibt, wird ein letzter Passagier an Bord gebracht und in die Verbannung geschickt: Es ist Lenin selbst.
Fazit: dieser schöne Roman ist eigentlich eine Geduldsprobe!
17.
Amerikanische Literatur 🇬🇧
Baumgartner *
von Paul Auster, S 208
Der neue Roman von Paul Auster nach seinem grossen Bestseller «4321» – ein weises Buch über die Liebe und eine Mut machende, tröstliche Betrachtung der letzten Lebensjahre, die sich der Endlichkeit alles Irdischen stoisch bewusst ist. Professor Seymour T. Baumgartner, unter Freunden Sy, ist ein über siebzigjähriger emeritierter Phänomenologe aus Princeton, der sich dem Schreiben philosophischer Bücher und, zunehmend, seinen Jugendremi-niszenzen widmet: seiner kleinbürgerlichen Herkunft aus Newark; der schwierigen Ehe der Eltern, dem Collegebesuch und einem Studienaufenthalt in Paris; schliesslich der wie ein Blitz einschlagenden Liebe zur Übersetzerin und Dichterin Anna, mit der er die glücklichsten Jahre verbrachte, bevor sie vor zehn Jahren einem Badeunfall zum Opfer fiel.Annas Tod hat ein tiefes Loch in seinem Leben hinterlassen, das aller Pragmatismus, alle Selbstironie nicht füllen kann. Denn Anna war wirklich das, was man seine bessere Hälfte nennt. Eines Tages, um sich zu trösten, wagt Sy sich endlich in ihr Arbeitszimmer, das er seit ihrem Tod nicht betreten hat.
Fazit: wunderschön geschrieben, so wie das Alter eben daher kommt, mit Aufs und Abs im Leben, etwas melancholisch und langsam geschrieben. Lesenswert!
16.
Amerikanische Literatur 🇬🇧
Am Meer
von Elisabeth Strouth, S 288
Elizabeth Strout schreibt die Geschichte von Lucy Barton weiter, ihrer feinsinnigen, von den Härten des Lebens nicht immer verschonten Heldin. Mit ihrem Ex-Mann William sucht sie während des Lockdowns Zuflucht in Maine, in einem alten Haus am Meer. Eine unvergessliche Geschichte über Familie und Freundschaft, die Zerbrechlichkeit unserer Existenz und die Hoffnung, die uns am Leben erhält, selbst wenn die Welt aus den Fugen gerät. Sie hatte es so wenig kommen sehen wie die meisten. Lucy Barton, erfolgreiche Schriftstellerin und Mutter zweier erwachsener Töchter, erhält im März 2020 einen Anruf von ihrem Ex-Mann - und immer noch besten Freund - William. Er bittet sie, ihren Koffer zu packen und mit ihm New York zu verlassen. In Maine hat er für sie beide ein Küstenhaus gemietet, auf einer abgelegenen Landzunge, weit weg von allem. Nur für ein paar Wochen wollen sie anfangs dort sein. Doch aus Wochen werden Monate, in denen Lucy und William und ihre komplizierte Vergangenheit zusammen sind in dem einsamen Haus am Meer.
Fazit: unbedingt lesenswert, schmunzeln inbegriffen.
15.
Schweizer Literatur 🇨🇭
Wendeschleife
von Regula Portillo, S 208
Anna arbeitet in einem Altenpflegeheim, reist gern und stellt anderen Reisenden regelmäßig ihr Sofa als Übernachtungsgelegenheit zur Verfügung. Einer ihrer Gäste ist Oliver, ein junger US-Amerikaner, der mit einem Interrail-Ticket in Europa unterwegs ist. Die beiden verstehen sich auf Anhieb gut er besucht sie an ihrem Arbeitsplatz und lernt auch ihren Freundeskreis kennen. Für ein paar Tage taucht er in ihre Welt ein. Doch dann kehrt er von einem Ausflug nach Zermatt nicht mehr zurück. Die Tage verstreichen ohne eine erlösende Nachricht und Annas Sorge um ihn wächst. Was ist geschehen? Anna entschließt sich dazu, Oliver bei der Polizei als vermisst zu melden. Doch die quälenden Gedanken an ihn lassen sie und die anderen Menschen, die ihn vermissen, nicht mehr los. Eine Suche beginnt, die existentielle Fragen aufwirft, denen Anna auch bei ihrer Arbeit immer wieder begegnet. Worauf steuern wir alle zu? Was macht ein erfülltes Leben und würdevolles Sterben aus? Findet das Leben hauptsächlich in den Geschichten statt, die wir uns darüber erzählen? Antworten findet Anna in den Gesprächen mit der blinden Frau Steinbach und den anderen Bewohnenden, deren Lebenserfahrung sie als große Bereicherung erlebt. Im Austausch mit Caroline, Olivers Mutter, und Samuel, einem gemeinsamen Bekannten, kommt Anna Oliver immer näher und setzt nach und nach das Bild eines Menschen zusammen, den sie vor allem aus Erzählungen kennt. Wendeschleife ist ein lebensbejahender Roman, der aufzeigt, wie scheinbare Zufälligkeiten das Leben jäh verändern und in den schwersten Momenten unverhofft neue Freundschaften und tiefe Verbundenheit entstehen können.
Fazit:unbedingt lesen, so klar und schön geschrieben. Auch die anderen Becher der Autorin sind zu empfehlen. Lesen sie Schweizer Autoren/innen.
14.
Irische Literatur 🇮🇪
Reichlich spät
von Claire Keegan, S 55
Freitag, der 29. Juli in Dublin. Das Wetter ist wie vorhergesagt, die Stadt vor Cathals Bürofenster liegt in gleissendem Sonnenschein. Nach einem scheinbar ereignislosen Tag mit Budgetlisten und Bürokaffee nimmt Cathal den Bus nach Hause. Die Landschaft zieht an ihm vorüber, die waldigen Hügel, auf denen er noch nie gewesen ist, und er denkt an Sabine. Die ein bisschen schielt und die gut kochen kann, die auch im Winter barfuss am Strand spazieren geht, die die Hügel besteigt. Die zu viel Geld ausgibt und zu viel Raum einnimmt und zumindest über die Hälfte von allem bestimmen will. Die Frau, mit der er hätte sein Leben verbringen können, wäre er ein anderer Mann gewesen. In dieser kleinen Geschichte eines gescheiterten Paares erzählt Claire Keegan vom grossen Thema Misogynie. Und wie sie das tut: kein Wort überflüssig, jeder Satz von durchscheinender Klarheit. Meisterhaft!
Fazit: wer diesen schmalen Band in die Finger bekommt kann glücklich sein! Unbedingt lesen. Schon das erste Buch, welches ins Deutsche übersetzt wurde, „das helle Licht“ war ein Volltreffer.
13.
Rumänische Literatur
Der Unfall
von Mihail Sebastian, S 272
Aus dem Rumänischen von Georg Aescht. Bereits 1938 veröffentlichte Mihail Sebastian diesen Roman - eine wunderbare Liebesgeschichte und gleichzeitig die Reminiszenz an das glanzvolle Bukarest der dreißiger Jahre. Bukarest 1935. Ein harmloser Unfall, eine Zufallsbegegnung, bringt sie zusammen: Nora und Paul, zwei Menschen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Nora ist mit ihrem Leben zufrieden, auch wenn sie davon träumt, eines Tages dem Mann zu begegnen, der die Leere in ihrem Innern vertreibt. Paul ist Anwalt und ein "verletzter, ein gefallener Mann". Er ist dem Sog von Anna erlegen, einer Malerin, die er einfach nicht vergessen kann, obwohl sie ihn längst verlassen hat. Doch wie ist einem Menschen zu helfen, der eigentlich nicht weiß, was Liebe ist?
Fazit: dieser Roman aus dem Jahr 1938 braucht sehr viel Geduld zum Lesen, dafür ist es eine sehr spezielle Liebesgeschichte, die ich so noch nie gelesen habe. Zudem handelt die Geschichte in Rumänien, das fand ich noch interessant. Buch gibt es nur im Antiquariat.
11.
Französische Literatur 🇫🇷
Eine Arbeiterin
von Didier Eribon, S 272
»Das ist also das Leben meiner Mutter gewesen, dachte ich, das Leben und das Alter einer Arbeiterin. Noch wusste ich nicht, dass ich dieser Aufzählung bald ein drittes Wort würde hinzufügen müssen.« Eigentlich hatte Didier Eribon sich vorgenommen, ab jetzt regelmässig nach Fismes zu fahren. Doch seine Mutter stirbt wenige Wochen nach ihrem Umzug in ein Pflegeheim in dem kleinen Ort in der Champagne. Wie in Rückkehr nach Reims, wird dieser Einschnitt zum Ausgangspunkt für eine Reise in die Vergangenheit. Eribon rekonstruiert die von Knappheit und Zwängen bestimmte Biografie einer Frau, die an einen brutalen Ehemann gekettet blieb und sich sogar in ihren Träumen bescheiden musste. »Meine Mutter«, hält er fest, »war ihr ganzes Leben lang unglücklich.«
Didier Eribons neues Buch ist hochpolitisch: Er legt schonungslos dar, wie sehr die Politik, aber auch die Philosophie, ja wir alle die skandalöse Situation vieler alter Menschen lange verdrängt haben. Zugleich erweist er sich erneut als grosser Erzähler: Anhand suggestiver Episoden und berührender Erinnerungen zeigt er, wie wichtig Familie und Herkunft für unsere Identität sind. Er kauft ein Dialekt-Wörterbuch, um noch einmal die Stimme seiner Mutter im Ohr zu haben. So entfaltet der Soziologe das Porträt einer untergegangenen Welt: des Milieus der französischen Arbeiterklasse – mit ihren Sorgen, ihrer Solidarität, ihren Vorurteilen.
Fazit: ein Muss zu Lesen, ein glänzend erzähltes und ergreifendes Buch. Es erschafft einen Raum für Nachdenklichkeit und Trauer und für die grosse Frage, wie man in Gesellschaften wie der unseren mit Alter und Sterben umgeht.
10.
Mexikanische Literatur
Wir sehen uns im August *
von Gabriel Garcia Marquez, S 144,
Eine Geschichte über die Liebe, wie nur Gabriel García Márquez sie schreiben konnte. Jedes Jahr fährt Ana Magdalena Bach im August mit der Fähre zu einer Karibikinsel, um dort auf das Grab ihrer Mutter einen Gladiolenstrauss zu legen. Jedes Jahr geht siedanach in ein Touristenhotel und isst abends allein an der Bar ein Käse-Schinken-Toast. Dieses Mal jedoch wird sie von einem Mann zu einem Drink eingeladen. Es entspricht weder ihrer Herkunft oder Erziehung noch ihrer Vorstellung von ehelicher Treue, doch geht sie dennoch auf seine Avancen ein und nimmt den Unbekannten mit auf ihr Zimmer. Das Erlebnis hat sie und ihr Leben verändert. Und so fährt sie im August des kommenden Jahres wieder erwartungsvoll auf die Insel, um nicht nur das Grab ihrer Mutter zu besuchen.
Fazit: wunderschön geschriebener Roman über die Liebe. Unbedingt lesen!
9.
Schweizer Literatur 🇨🇭
Die Farbe von Glück *
von Clara Maria Bargus, S 352
»Die grossen Themen unseres Lebens: das Streben nach Glück, das Suchen und Finden der Liebe, die Rolle des Zufalls, der Sinn unseres Daseins – alle sind in diesem weisen, grossartigen Roman verdichtet zu einem sprachlich überwältigenden Werk.« Markus Lanz
Eine falsche Entscheidung, die das Leben dreier Familien für immer verändert: Ein Richter zwingt die Krankenschwester Charlotte, sein sterbenskrankes Neugeborenes gegen ein gesundes zu tauschen. Folgt sie seiner Drohung nicht, entzieht er ihr den Pflegesohn. Die Welt aller Beteiligten gerät aus den Fugen, doch hinter allem wirkt der geheimnisvolle Plan des Lebens …Können wir im falschen Leben das richtige finden? Wie öffnet man sich einem neuen? Wie lässt man los? Mit grosser sprachlicher Kraft und Anmut zeigt die Autorin, dass jeder seine Lebenskarte bereits in sich trägt und alles auf wundersame Weise miteinander verknüpft ist.
Fazit: ein schöner Roman, für mich ein wenig überladen mit vielen Themen und sehr sentimental.
8.
Deutsche Literatur 🇩🇪
Frankie *
von Jochen Gutsch und Maxim Leo, S 192
Richard Gold hat alles vorbereitet. Heute ist der Tag, an dem er sich das Leben nehmen wird. Der Strick liegt schon um seinen Hals, als sich ein dürrer Kater vor das Fenster setzt, interessiert glotzt – und Gold komplett aus dem Konzept bringt. Als dann der Kater auch noch bei Gold einzieht, weil der einen grossen Fernseher hat, ein „extremst“ weiches Bett und pünktlich Essen serviert, beginnt die skurrile Freundschaft zwischen zwei Aussenseitern, von denen zumindest einer ganz fest an ein Happy End im Leben glaubt. Ein Mann, der sterben will. Ein Kater, der ein Zuhause sucht. Eine berührende und zugleich urkomische Geschichte über eine aussergewöhnliche Freundschaft und den Weg zurück ins Leben.
Fazit: unterhaltsam und lustig geschrieben. Aber nicht so mein Ding.
7.
Deutsche Literatur 🇩🇪
Zwischen den Sommern
von Alexa Henning von Lange, S 368
Als Klara mit über neunzig Jahren stirbt, entdeckt ihre Enkelin Isabell in ihrem Haus einen Karton mit Tonbandkassetten, auf die ihre Grossmutter kurz vor ihrem Tod ihre Lebenserin-nerungen aufgesprochen hat. Isabell taucht in den Aufnahmen ein ins nationalsozialistische Deutschland, wo Klara in dem kleinen Ort Sandersleben ein linientreues Frauenbildungsheim leitet. Als der Krieg ausbricht und Gustav, ihre grosse Liebe, an die Front zieht, droht ihre scheinbar idyllische Welt zu zerbrechen. Isabell begegnet einer Frau, die, zerrissen zwischen Anpassung und Abneigung gegen das Regime, versucht, einen Weg durch das Dritte Reich zu finden – und ihr dadurch nahbarer und zugleich fremder erscheint. Was hat es mit dem kleinen jüdischen Mädchen auf sich, das Klara als ihre eigene Tochter ausgegeben hat und das dennoch verlorenging?
Fazit:nach dem 1. Band (die karierten Mädchen) geling auch der 2. Band wundervoll: spannend, nicht reisserisch, dafür einfühlsam geschrieben. Hat mir sehr gefallen. Ich freue mich schon auf den 3. Band
6.
Deutsche Literatur 🇩🇪
Letzte Reisen
von Ilka Piepgras, S 256
Sterben ist heute ein Tabuthema. Dabei suchen alle, die damit konfrontiert sind, nach einem Umgang mit dem Tod. Ilka Piepgras, herausragende Autorin des Zeit
Magazins, hat deswegen beschlossen, ehrenamtlich als Sterbebegleiterin zu arbeiten. Bei den Sterbenden und im Hospiz lernt sie dabei nicht nur viel über den Tod, sondern auch über das
Leben.
Als Ilka Piepgras von dem plötzlichen Tod ihres gerade fünfzigjährigen Nachbarn überrumpelt wird, fühlt sie sich hilf- und sprachlos. Und schlagartig wird ihr
bewusst: Ein zweites Mal will sie dem Tod nicht unvorbereitet begegnen. Ein Wunsch, der umso drängender wird, als ihre Eltern schon alt sind. Ilka Piepgras fasst schliesslich den Entschluss, eine
Ausbildung zur Sterbebegleiterin zu machen.
Wie gelingt ein gutes Sterben – das ist die Frage, die sie sich angesichts der Menschen, sie sie auf ihrem letzten Weg begleitet, immer wieder stellt. Die
Begegnungen mit Sterbenden verändern ihre Sicht auf die Welt und machen sie letztlich fokussierter und gelassener. Und sie führen zu überraschenden Gesprächen mit Freunden, Kindern – und ihren
Eltern. Endlich vermag sie, einen Umgang zu finden mit dem Unausweichlichen. Fazit: sehr interessantes Buch, etwas zwischen Erzählung und Sachbuch.
5.
Deutsche Literatur 🇩🇪
Das späte Leben
von Bernhard Schlink, S. 240
Martin, sechsundsiebzig, wird von einer ärztlichen Diagnose erschreckt: Ihm bleiben nur noch wenige Monate. Sein Leben und seine Liebe gehören seiner jungen Frau und seinem sechsjährigen Sohn. Was kann er noch für sie tun? Was kann er ihnen geben, was ihnen hinterlassen? Martin möchte alles richtig machen. Doch auch für das späte Leben gilt: Es steckt voller Über-raschungen und Herausfor-derungen, denen er sich stellen muss.
Fazit: schlicht und schnörkellos geschrieben, das Buch hat mir sehr gefallen.
4.
Schweizer Literatur 🇨🇭
Das Leuchten in der Ferne
von Linus Reichlin, S 304
Ein abenteuerlicher Roman über Krieg und Liebe Moritz Martens, einst gefragter Kriegsreporter, lernt durch einen Zufall Miriam Khalili kennen. Ihr Vater war einst aus Afghanistan geflohen, sie selbst ist in Berlin aufgewachsen. Miriam erzählt Martens eine unglaubliche Geschichte: Sie würde eine junge Afghanin kennen, die als Junge verkleidet seit Monaten mit einer Talibangruppe durch die Berge zieht. Es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, bis das Mädchen enttarnt wird. Um sich zu retten, sei sie bereit, für zehntausend Dollar ein Interview zu geben. Die beiden reisen zusammen nach Afghanistan, doch schon in der Transall nach Feyzabad beginnt Martens an der Echtheit der Geschichte zu zweifeln. Ganz offensichtlich war Miriam noch nie zuvor in Afghanistan und verwickelt sich auch sonst immer mehr in Widersprüche. Doch Martens liebt das Unvorhersehbare und lässt sich trotzdem auf das Abenteuer ein. Er kann nicht ahnen, wie sehr das, was ihn in Afghanistan erwartet, sein Leben verändern wird.
3.
Schweizer Literatur 🇨🇭
Anton will bleiben *
von Neil Biedermann, S 213
„Isaac Newton war ein Apfel auf den Kopf gefallen – ein Prozess von kaum einer Sekunde – und er war schlagartig auf den Weg in die Weltgeschichte geführt worden. Anders als Newton hatte Anton einen Plan, allzu schwierig konnte es also nicht werden.“ Anton hat Krebs – und niemanden, der sich an ihn erinnern wird. Er versucht alles, um in die Geschichte einzugehen und nicht in Vergessenheit zu geraten. Der geregelte Alltag des alten Witwers ist damit zu Ende. Plötzlich treten die Polizei, eine angehende Schauspielerin und ein junger lebensmüder Existenzialist in sein Leben. Und die Frage, was das Leben lebenswert macht. Ein Buch über unseren Umgang mit der Vergänglichkeit, der Zeit und dem Leben. Ein Buch über Freundschaft, Ängste, Einsamkeit und den Mut, neu zu beginnen.
Fazit: ich bin beeindruck wie der junge Autor das Thema "Vergänglichkeit" gekonnt umsetzt. Nicht traurig und trist, sondern aufgestellt und ehrlich. Eine Leseempfehlung für jedes Lesealter.
2.
Australische Literatur
Tage mit mir *
von Charlotte Wood, S 304
Wie lange der Aufenthalt im Kloster in den Monaro Plains dauern würde, war ihr nicht klar, aber er dauert länger als es die Städterin mittleren Alters aus Sydney erwartet hätte. Denn weder glaubt sie an Gott, noch hat sie jemals gebetet, aber müde vonArbeit und Stadtleben hat sie sich eher zufällig für diese Form von Rückzug entschieden und ist vorerst einfach mal geblieben. Das ermöglicht ihr, auf überraschende Weise, zu sich selbst zu finden und sich mit Fragen zur Vergangenheit, Liebe, zu Krankheit und Tod, zum Älterwerden, zu Freundschaft und was es bedeuten könnte, "gut zu sein", auseinanderzusetzen. Es ist die ungewohnte Umgebung, die ungewohnte Situation, die grundsätzliche Fragen zulässt, fern von Religion, Esoterik, Dramatik.
Fazit:ich fand das Buch eher irritierend und der Lesefluss schwierig.
1.
Amerikanische Literatur 🇬🇧
Die weite Wildnis
von Lauren Groff, S 288
„Lauren Groff hat gerade den Abenteuerroman neu erfunden.“ – Los Angeles Times.Eine kühne literarische Expedition in die amerikanische Wildnis und das Leben einer Pionierin.Ein Mädchen allein, frierend, auf der Flucht. Hinter ihr liegen Hungersnot und die Brutalität der Menschen, unter denen sie aufgewachsen ist; um sie herum fremdes Land und seine Bewohner, die sie fürchtet, weil sie es so gelernt hat; vor ihr das Unbekannte. Nordamerika im frühen 17. Jahrhundert: Englische Siedler, fromm, überheblich und fähig zur schlimmsten Gewalt, nehmen das Land in Besitz. Das Mädchen gehörte zu ihnen, doch nun ist sie allein. Die Wildnis ist hart, sie kämpft ums Überleben und beginnt, infrage zu stellen, was man ihr beigebracht hat. Haben die Menschen hier nicht ihre eigenen Götter, ihre eigenen Namen für die Dinge? Wozu brauchen sie die Europäer? Ist sie nicht selbst nur ein fremdes, zerbeultes Wesen in einer Welt, die ihrer nicht bedarf? Und während sie die Natur zu lesen lernt, wächst etwas Neues in ihr: ein anderer Sinn, eine Liebe, die nicht besitzergreifend ist. Die weite Wildnis ist die packende Geschichte einer Pionierin, einer Visionärin: Mit ihrer eigenen, gewaltigen Sprachmacht und dem Pathos biblischer Geschichten erzählt Lauren Groff das abenteuerliche Leben einer jungen Frau, die lernt, zuerst von der Natur zu leben und dann mit ihr – und die dabei eine neue, freie Sicht auf die Welt zu gewinnen.
Fazit: dieser Roman hallt noch lange im Kopf nach und ist nicht einfach zu lesen. Es kommen sehr viele Naturbeschreibungen vor und dazwischen auch sehr brutale Szenen. Diese Gegensätze bringen die eigenen Emotionen ins Schwingen. Eine grosse Leseempfehlung.