Fremdsehen
von Gerlinde Michel, 176 S
Zwei Paare, eines jung, eines älter, treffen aufeinander. Nach einer kurzen Begegnung reisen zwei identische Fotoapparate mit dem falschen Paar weiter – ein Malheur mit ungeahnter Sprengkraft. Denn nicht nur gehen dabei Fotos verloren, die gar nie hätten entstehen sollen oder die nun schmerzlich vermisst werden. Schlimmer ist: Was nicht für fremde Augen gedacht war, ist diesen nun unkontrollierbar ausgeliefert. Welche Kreise werden die Bilder ziehen?
Das Ereignis wird zum Auslöser von Spannungen in den Beziehungen und ungeahnten Entwicklungen in den Lebensläufen. Die junge Floristin Sophie stellt sich einem traumatischen Erlebnis und gewinnt Distanz zu ihrer Familie. Cyrill, Pfleger in einem Altersheim, gesteht sich allmählich seine Suche nach Identität ein. Die Malerin Louisa findet zu einem neuen Stil, der ihre Kreativität aufblühen lässt. Und der in Rumänien aufgewachsene Konstantin befasst sich trotz innerer Widerstände endlich mit seiner Herkunfts-geschichte. Was wie ein Krimi beginnt, weitet sich zu einem Roman voller Bezüge, Abgründe und unerwarteter Wendungen.
Fazit: Nach den ersten dreissig Seiten, wollte ich eigentlich nicht mehr weiterlesen. Fand alles ziemlich banal. Doch dann bekommt der Roman Tiefe und die eigene Gedankenmaschinerie kommt in Gang. Sehr raffiniert geschrieben. Die meistens kurzen Kapitel gefallen mir auch. Lesenswert!
Unsere Seelen bei Nacht *
von Kent Harf, 137 S
Holt, eine Kleinstadt in Colorado. Eines Tages klingelt Addie, eine Witwe von 70 Jahren, bei ihrem Nachbarn Louis, der seit dem Tod seiner Frau ebenfalls allein lebt. Sie macht ihm einen ungewöhnlichen Vorschlag: Ob er nicht ab und zu bei ihr übernachten möchte? Louis lässt sich darauf ein. Und so liegen sie Nacht für Nacht nebeneinander und erzählen sich ihre Leben. Doch ihre Beziehung weckt im Städtchen Argwohn und Missgunst.
Fazit: Mit wenigen Worten wird viel Gefühl ausgedrückt un auch das Ende ist nicht wie erhofft. Schön zu lesen.
Lied der Weite *
von Kent Harf, 266 S
Victoria, siebzehn und schwanger, wird von ihrer Mutter vor die Tür gesetzt. Da überredet ihre Lehrerin Maggie die Brüder McPheron, zwei alte Viehzüchter, das Mädchen bei sich aufzunehmen. Ein erst widerwilliger Akt der Güte, der das Leben von sieben Menschen in der Kleinstadt Holt in Colorado umkrempelt und verwandelt.
Fazit: Kent Haruf pfegt seine eigene Sprache, die zwar zuerst etwas spröde wirkt, aber einfach perfekt zu den Charketeren in seinen Büchern passt. Mit wenigen Worten wird eine berührende Geschicht erzählt. Auch dieses Buch schön zu lesen.
Wenn Du gefragt hättest, Lotte *
von Barbara Geiser, 340 S
Die Bemerkung der alten Frau lässt Lotta keine Ruhe: Luise, Lottas Grossmutter, sei als junge Frau aus Gletschen verschwunden und nie mehr dorthin zurückgekehrt. Das erfährt Lotta zufällig an deren Beerdigung im Bergdorf. Was hat Luise ihr verschweigen und weshalb? Und was war in Gletschen geschehen? Lotta war bei Luise aufgewachsen, dank ihr wurde sie Musikerin. All die Jahre dachte sie, sie hätten sich nahegestanden. Lotta macht sich auf Spurensuche. Sie sammelt Erinnerungen, fragt und hört zu, liest und sucht im Internet, beschäftigt sich mit alten Familienschriften ebenso wie mit DNA-Analysen. Schliesslich folgt sie Hinweisen bis nach England. Allmählich setzen sich die Teile eines beeindruckenden Lebens zusammen, und Lottas Bild ihrer Grossmutter verändert sich. Aber auch Lotta ist nicht mehr dieselbe.
Barbara Geiser legt mit ihrem ersten Roman eine vielstimmige Geschichte vor, in der Vergangenheit und Gegenwart raffiniert ineinanderfliessen und sich Rhythmen und Klangfarben zu einer karftvollen Sprache verbinden.
Fazit: Ein Buch nach meinem Geschmack, einfach toll geschrieben, Spannung, Familie, Vergangenheit und Gegenwart.
Das Leben des Vernon Subutex 1 *
von Virgine Despentes, 400 S
Die literarische Sensation aus Frankreich: ein grandioses Sittengemälde unserer Zeit.
Wer ist Vernon Subutex? Eine urbane Legende, der letzte Zeuge einer Welt von Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll. Einer, mit dem unsere Zeit es nicht gut meint und der trotzdem für eine ganze Generation steht – und für das glanzvolle, furiose Comeback seiner Erfinderin Virginie Despentes.Als der Roman 2015 in Frankreich erschien, erregte er unmittelbar grosses Aufsehen. Wochenlang führte er die Bestsellerlisten an, war für zahlreiche Preise nominiert, die Kritik überschlug sich. Erzählt wird die Geschichte von Vernon Subutex und seinem rasanten sozialen Abstieg. Mit seinem Plattenladen hat er Pleite gemacht und steht nun auf der Strasse. Weil er sich und der Welt sein Scheitern nicht eingestehen will, nimmt er Zuflucht zu einer Notlüge, die es ihm ermöglicht, sich übergangsweise reihum bei seinen alten Freunden einzuquartieren, die er zum Teil seit Jahren nicht gesehen hat. So entsteht ein vielstimmiges Panorama einer Gesellschaft am Abgrund. Man begegnet den ganz normal Gescheiterten, den scheinbar Erfolgreichen, den Schrillen und den Durchgeknallten. Despentes erspart ihren Figuren nichts, lässt kein gesellschaftliches Thema unberührt, die Islamismusdebatte ebensowenig wie den Aufstieg der Rechten. So gelingt ihr ein beeindruckender literarischer Rundumschlag, ungestüm und trotzdem humorvoll, in dem jedes Wort sitzt, jeder Satz nachhallt. Ein grosser Wurf, in Frankreich nicht umsonst mit Balzacs 'Die menschliche Komödie' verglichen.
Fazit: Nach 14 Tagen immer noch nicht mehr als 50 Seiten gelesen. Komme nicht vorwärts. Dieses langweilige Buch enttäuscht mich. Darum lese ich jetzt mal zuerst untenstehendes Buch. Hab schon geschmöckert, es riecht gut, doch das Buch ist sehr umstritten.
Stella *
von Takis Würger, 224 S
Es ist 1942. Friedrich, ein stiller junger Mann, kommt vom Genfer See nach Berlin. In einer Kunstschule trifft er Kristin. Sie nimmt Friedrich mit in die geheimen Jazzclubs. Sie trinkt Kognak mit ihm und gibt ihm seinen ersten Kuss. Bei ihr kann er sich einbilden, der Krieg sei weit weg. Eines Morgens klopft Kristin an seine Tür, verletzt, mit Striemen im Gesicht: "Ich habe dir nicht die Wahrheit gesagt." Sie heisst Stella und ist Jüdin. Die Gestapo hat sie enttarnt und zwingt sie zu einem unmenschlichen Pakt: Wird sie, um ihre Familie zu retten, untergetauchte Juden denunzieren? Eine Geschichte, die auf wahren Begebenheiten beruht – über die Entscheidung, sich selbst zu verraten oder seine Liebe.
Fazit: Nachdem dieses Buch in den Medien heiss diskutiert und oft auch "zerissen" wurde, wollte auch ich es wissen. In diesem Buch geht es also Hart auf Hart. Nichts für zarte Seelen. Ich habe noch nie etwas über den Holocaust gelesen, das einem so nah geht. Die Diskussion ob man über so was einen Roman schreiben darf, der auf wahren Tatsachen beruht und erfundene Elemente hat, ist für mich keine Frage. Man kann über Alles schreiben. Die Sprache und der Ton des Romans sind hart. Aber die Zeiten damals waren es auch.
Was bleibt von uns
von Golnaz Hashemzadeh Bonde, 224 S
Nahid ist 60 und hat nicht mehr lange zu leben. Nun will sie endlich ihrer Tochter ihre Geschichte erzählen: Wie sie 1980 in Teheran Medizin studierte, zum Stolz der Familie, wie sie sich in Masood verliebte, im Überschwang einer Demo ihre Schwester mitnahm und dann im Stich liess. Als Nahid und Masood ein Kind erwarten, fliehen sie nach Schweden, ihre Tochter Aram soll in einem freien Land aufwachsen. Nun wird Aram selbst Mutter. Nahid will ihr zur Seite stehen, aber es fällt ihr schwer, den richtigen Ton zu finden. – Ein aufwühlendes, brillant erzähltes Drama, übersetzt in 25 Sprachen.
Fazit: Ein sehr schön geschriebenes Buch, aber teilweise auch sehr traurig, totzdem lesenswert.
Offshore*
von Till Berger, 432 S
Paul Margis, Experte der Bundesregierung, versteht die Welt nicht mehr. Eben noch konnte er in Chile einen bahnbrechenden Verhandlungserfolg verkünden – eine internationale Partnerschaft zur Ausschöpfung einer neuen Rohstoffquelle im Pazifik. Im nächsten Moment will man ihm den Mord an dem Wissenschaftler anhängen, der die neue Abbautechnologie erforschte. Um seinen Ruf zu retten, muss Paul herausfinden, was der Tote wusste. Doch damit gerät er erst recht ins Visier machtvoller Gegner und in den Strudel eines Komplotts, das von den chilenischen Kupferminen bis an die internationalen Börsen und in die höchsten Ebenen der Politik reicht …
Fazit: Diese Buch hat alles was es zu einem richtigen Krimi braucht. Sehr spannend geschrieben! Nur für Krimifäns
Nach einer wahren Geschichte *
von Delphine de Vigan, 291 S
Zwei Frauen lernen sich auf einer Party kennen. Die zurückhaltende Delphine, die sich mit fremden Menschen meist sehr schwer tut, ist sofort fasziniert von der klugen und eleganten L., die als Ghostwriter arbeitet. Aus gelegentlichen Treffen werden regelmässige, man erzählt einander das eigene Leben, spricht über Familie und Freunde, vor allem über Freundinnen. Und natürlich über Bücher und Filme, die man liebt und bewundert. Delphine ist glücklich über die Gemeinsamkeiten und fühlt sich verstanden wie schon lange nicht mehr. Ganz entgegen ihrer Gewohnheit gibt sie in einem Gespräch über das Schreiben die Idee für ihr nächstes Buch preis. L. reagiert enttäuscht: Wie nur könne Delphine ihre Zeit auf eine erfundene Geschichte verschwenden? Eine Autorin ihres Formats müsse sich der Wahrheit verschreiben. Delphine ist entsetzt. L.s leidenschaftlich vorgetragene Forderung löst eine tiefe Verunsicherung in ihr aus. Bald kann sie weder Papier noch Stift in die Hand nehmen. L. scheint völlig unglücklich über das zu sein, was sie in der Freundin ausgelöst hat. Selbstlos übernimmt sie die Beantwortung von E-Mails, das Absagen von Lesungen und Interviews, das Vertrösten des Verlags, der auf einen neuen Roman wartet. Und all das in Delphines Namen. Keiner weiss davon, keiner kennt L., und so ist Delphine allein, als sie feststellt, dass L. ihr immer ähnlicher wird …
Fazit: von diesem Buch war ich von Anfang hingerissen. Im ersten Teil ist die Handlung noch etwas zaghaft, doch baut sie schon einen Sog auf. Doch dann geht es los und lässt einem nicht mehr los. Einfach grandios!
Demnächst
Die Geschichte der Bienen
von Maj Lunde, 528 S
England im Jahr 1852: Der Biologe und Samenhändler William kann seit Wochen das Bett nicht verlassen. Als Forscher sieht er sich gescheitert, sein Mentor Rahm hat sich abgewendet, und das Geschäft liegt brach. Doch dann kommt er auf eine Idee, die alles verändern könnte – die Idee für einen völlig neuartigen Bienenstock.
Ohio, USA im Jahr 2007: Der Imker George arbeitet hart für seinen Traum. Der Hof soll größer werden, sein Sohn Tom eines Tages übernehmen. Tom aber träumt vom Journalismus. Bis eines Tages das Unglaubliche geschieht: Die Bienen verschwinden.
China, im Jahr 2098: Die Arbeiterin Tao bestäubt von Hand Bäume, denn Bienen gibt es längst nicht mehr. Mehr als alles andere wünscht sie sich ein besseres Leben für ihren Sohn Wei-Wen. Als der jedoch einen mysteriösen Unfall hat, steht plötzlich alles auf dem Spiel: das Leben ihres Kindes und die Zukunft der Menschheit.
Wie alles mit allem zusammenhängt: Mitreißend und ergreifend erzählt Maja Lunde von Verlust und Hoffnung, vom Miteinander der Generationen und dem unsichtbaren Band zwischen der Geschichte der Menschen und der Geschichte der Bienen. Sie stellt einige der drängendsten Fragen unserer Zeit: Wie gehen wir um mit der Natur und ihren Geschöpfen? Welche Zukunft hinterlassen wir unseren Kindern? Wofür sind wir bereit zu kämpfen?
Fazit: Hier wird die Geschichte der Bienen erzählt: von der Vergangenheit zur Gegenwart und in der Zukunft. Sehr spannend und interessant verpackt, in einer gut ver-ständlichen Sprache. Hat mir gefallen.
Agathe *
Von Anne Cathrine Bomann, 160 S
Wer dieses Buch liest, möchte es sofort weiterempfehlen - Anne Cathrine Bomanns Roman zeigt, wie neue Freundschaften ein Leben verändern.
Ein alternder Psychiater zählt die Tage bis zu seinem Ruhestand. Bald wird er die Türen seiner Praxis für immer hinter sich schließen.. Doch eine letzte Patientin lässt sich nicht abwimmeln. Und
die Gespräche mit Agathe verändern alles: Neue Freundschaften scheinen plötzlich möglich, neue Wege, neue Zuversicht. Eine universelle Geschichte über Nähe und Freundschaft, Liebe und
Verbindlichkeit - elegant und zeitlos, voll meditativer Zärtlichkeit und subtilem Humor.
Fazit: Kleines feines Buch mit Ironie, hübsch zu lesen.
Die Liebe im Ernstfall *
von Daniel Krisen, 288 S
Sie heissen Paula, Judith, Brida, Malika und Jorinde. Sie kennen sich, weil das Schicksal ihre Lebenslinien überkreuzte. Als Kinder und Jugendliche erlebten sie den Fall der Mauer, und wo vorher Grenzen und Beschränkungen waren, ist nun die Freiheit. Doch Freiheit, müssen sie erkennen, ist nur eine andere Form von Zwang: der Zwang zu wählen. Fünf Frauen, die das Leben aus dem Vollen schöpfen. Fünf Frauen, die das Leben beugt, aber keinesfalls bricht.
Fazit: Dieses Buch hat mir sehr gut gefallen, ist aber leicht anspruchsvoll zu lesen und sehr kunstvoll verwebt. Hier stimmt einfach alles.
Kuss
von Simone Meier,256 S
Gerda und Yann sind urbane Thirtysomethings und gerade in ein heruntergekommenes altes Haus am Stadtrand gezogen. Gerda ist arbeitslos, investiert ihre ganze Energie ins Einrichten – und in eine fixe Idee: Sie leistet sich eine imaginäre Affäre. Diese ist erst nur ein Spiel, doch dann beginnt sie, Gerda mit aller Macht zu verzehren. Yann lernt ein rätselhaftes Mädchen voller Forderungen kennen. Und die Nachbarin Valerie, Anfang fünfzig und Journalistin, steht nach einem folgenreichen One-Night-Stand plötzlich vor der Frage, ob das Leben für sie ausgerechnet jetzt noch einmal neu beginnt. Von drei möglichen Liebesgeschichten finden mindestens eineinhalb nur in der Fantasie statt. Doch dann kommt alles zusammen, und aus einem Zufall wird ein Unfall.
Mit schonungslosem Blick, Witz und Melancholie seziert Simone Meier den schönen Schein moderner Existenzen und Beziehungen, bis nicht mehr nur die Fassaden bröckeln, sondern das ganze Fundament zu beben beginnt.
Fazit: Konnte das Buch nicht fertig lesen. Vielleicht versuche ich es später nochmal.
Tochter des Geldes *
Mentona Moser, die reichste Revolutionärin Europas
von Eveline Hasler, 179 S
Als Eveline Hasler in den 80er-Jahren in die DDR reist, hört sie durch Irmtraud Morgner den Namen Mentona Moser zum ersten Mal. Aus unermesslich reichem Haus stammend, Sozialrevolutionärin und frühe Feministin, hat sie die europäische Welt des 20. Jahrhunderts bewegt – und wurde vergessen. Eveline Hasler, mit ihrer wunderbaren Unmittelbarkeit des Erzählens, spürt diesem Ausnahme-leben einer Unbeugsamen nach und zeichnet ein eindringliches, intimes Porträt. Ein Platz im kollektiven Gedächtnis Europas ist Mentona Moser nun endlich gewiss.
Fazit: Schon länger her, seit ich ein Buch von E. Hasler gelsen habe. Dieses hier hat mich sofort fasziniert. Spannend un lehrreich geschrieben, über eine Zeitepoche (1974-1972 ) die uns nicht so nahe ist, über eine spannende Frau die viel erlebt hat. Einfach gut
Glänzende Aussichten *
von Margrit Schriber, 176 S
Seit dem Tod ihres Vaters betreibt Pia die Tankstelle ausserhalb des Dorfes allein. Doch zu Beginn der 1980er Jahre sind zunehmend Grosstankstellen mit Do-it-yourself modern. Pia soll, das raten der Benzinlieferant und Pias boshafter Exfreund Luc, die Tankstelle verkaufen. Aber Pia will nicht; sie beschliesst die Flucht nach vorn. Sie kauft eine riesige Autowaschstrasse, die ultramodern ist und neueste Technik bietet. Die Einweihung wird zu einer furiosen, erotischen Feier, die alles auf den Kopf stellt. Mit ihrem eigenständigen, bildstarken Erzählen und ihren originellen Heldinnen gehört Margrit Schriber zu den bedeutendsten Schriftstellerinnen der Schweiz.
Fazit: Das Buch mit angenehmen Kapitellängen hat mir sehr gut gefallen. Eine detaillierte aber unaufgeregte, humorvolle Sprache, Personen mit Charakter, das alles macht dieses Buch zu einem Lesevergnügen.
Nach Ohio *
von Benedict Meyer, 219 S
1891 wandert die erst 19-jährige Stephanie Cordelier aus der Region Basel in die USA aus. Aus ärmlichen Verhältnissen stammend - die Mutter ernährt als Wäscherin die Familie, der Vater ist Alkoholiker - erhofft sie sich in der Neuen Welt ein besseres Leben. In Ohio lernt sie in der aufstrebenden Kleinstadt Defiance den amerikanischen Alltag kennen. Sie wird Dienstmädchen bei einer Ärztefamilie, beginnt, sich heimisch zu fühlen, und ist stolz, ihrer Mutter regelmässig Geld schicken zu können. Dann wendet sich das Schicksal gegen sie. Doch Stephanie hat gelernt zu kämpfen. 125 Jahre später beschliesst ihr in Bern lebender Urenkel, ihrer Geschichte nachzugehen. Mit einem Containerschiff reist er über den Atlantik und mit dem Fahrrad nach Ohio, um vor Ort herauszufinden, was Stephanie Cordelier wirklich erlebt hat.
Fazit: Das Buch hat mir gut gefallen. Ich finde der Aufbau der Geschichte speziell. Der Autor erzählt von seinen Recherchen und gleichzeitig die Geschichte von Stephanie Cordelier. Auch der Zeitabschnitt von 1880 - 1945 finde ich interessant, da ich aus der Zeit 1880 bis zum ersten Weltkrieg eher wenig gelesen habe. Das Buch ist interessant und leicht zu lesen, aber etwa gar nicht oberflächlich.
Befreit *
von Tara Westover, 448 S
Von den Bergen Idahos nach Cambridge - der unwahrscheinliche Bildungsweg der Tara Westover
Tara Westover ist 17 Jahre alt, als sie zum ersten Mal eine Schulklasse betritt. Zehn Jahre später kann sie eine beeindruckende akademische Laufbahn vorweisen. Aufgewachsen im ländlichen Amerika, befreit sie sich aus einer ärmlichen, archaischen und von Paranoia und Gewalt geprägten Welt durch – Bildung, durch die Aneignung von Wissen, das ihr so lange vorenthalten worden war. Die Berge Idahos sind Taras Heimat, sie lebt als Kind im Einklang mit der grandiosen Natur, mit dem Wechsel der Jahreszeiten – und mit den Gesetzen, die ihr Vater aufstellt. Er ist ein fundamentalistischer Mormone, vom baldigen Ende der Welt überzeugt und voller Misstrauen gegenüber dem Staat, von dem er sich verfolgt sieht. Tara und ihre Geschwister gehen nicht zur Schule, sie haben keine Geburtsurkunden, und ein Arzt wird selbst bei fürchterlichsten Verletzungen nicht gerufen. Und die kommen häufig vor, denn die Kinder müssen bei der schweren Arbeit auf Vaters Schrottplatz helfen, um über die Runden zu kommen. Taras Mutter, die einzige Hebamme in der Gegend, heilt die Wunden mit ihren Kräutern. Nichts ist dieser Welt ferner als Bildung. Und doch findet Tara die Kraft, sich auf die Aufnahmeprüfung fürs College vorzubereiten, auch wenn sie quasi bei null anfangen muss … Wie Tara Westover sich aus dieser Welt befreit, überhaupt erst einmal ein Bewusstsein von sich selbst entwickelt, um den schmerzhaften Abnabelungsprozess von ihrer Familie bewältigen zu können, das beschreibt sie in diesem ergreifenden und wunderbar poetischen Buch.
Fazit: Diese beeindruckende Biographie erzählt offen und beschönigt nichts und ist darum recht happig und schwer verdaulich. Das Buch hat mir trotz "Längen" im ersten Teil, gut gefallen.
Chaya *
von Kathrin Zarnegin, 300 S
Teheran, 70er Jahre: Ein junges Mädchen beschliesst, Schriftstellerin zu werden, und träumt von Europa. Kaum ist sie mit 14 aus dem turbulenten Iran im Herzen Europas angekommen, verwandelt sich das neugierige Kind im Schnelldurchlauf in eine Frau, die plötzlich „vor dem Leben“ steht: Wie rasch lerne ich die neue Sprache, wie komme ich an Geld, was mache ich mit meinen Träumen, wo finde ich den, mit dem es sich lieben lässt?
Chaya ist ein Paradiesvogel, unangepasst, freiheitshungrig, eine Frau, die sich von nichts und niemandem schrecken lässt, ein Grossstadtwesen und manchmal sogar ein quittengelber Kanarienvogel. Wie damals „Zazie in der Metro“ streift Chaya abenteuerlustig durch eine Welt, die sich vor ihr in eine wundersame bunte Kugel verwandelt.
Chaya ist ein Roman auf der Suche nach einer neuen Heimat in einer neuen Sprache.
Fazit: das Buch ist speziel und nicht jedrmans Sache.
Judas *
von Astrid Holleeder, S 374
Der internationale Bestseller – eine wahre Geschichte von Treue und Verrat.
Astrid Holleeder ist die Schwester des berüchtigten Gangsterbosses Willem Holleeder, der seit über 30 Jahren die Amsterdamer Unterwelt beherrscht und seine Familie tyrannisiert. Von klein auf war sie Willems Vertraute wider Willen. Jetzt bricht sie in diesem Buch ihr Schweigen, um ihren brutalen Bruder lebenslang hinter Gitter zu bringen, damit das sinnlose Morden ein Ende findet. »Judas« ist die mitreissende Geschichte einer starken Frau, die sich aus den Fängen des Verbrechens und ihres psychopathischen Bruders befreit.
Astrid Holleeder ist 17 Jahre alt, als ihr Bruder Willem Holleeder gemeinsam mit seinem Freund und späteren Schwager Cor van Hout den Biermagnaten Alfred Heineken entführt und 35 Millionen Gulden erpresst. Hineingeboren in eine Familie, in der häusliche Gewalt zur Tagesordnung gehört, ist Astrid die Erste, die ein Gymnasium besucht und sich aus kleinbürgerlicher Enge und krimineller Umgebung zu befreien versucht. Sie wird Anwältin für Strafrecht. Doch sie kommt nicht los von ihrer Familie. Ihre Schwester Sonja ist verheiratet mit Cor van Hout, Willems Komplizen. Gemeinsam dominieren die beiden schwerreichen Kriminellen seit den 1990er-Jahren die Amsterdamer Unterwelt. Als sie sich überwerfen und Cor van Hout 2003 auf offener Strasse ermordet wird, weiss Astrid Holleeder, dass ihr eigener Bruder dahintersteckt. Wie hinter vielen weiteren Auftragsmorden an ehemaligen Gefährten. Schweren Herzens entschliesst sie sich, sich mit ihren Zeugenaussagen vor Gericht und mit ihrem packend geschriebenen Buch gegen ihren Bruder zu wenden. Sie weiss, dass sie sich damit selbst auf die Todesliste setzt. Und doch hat sie nur ein Ziel: Sie will ihren brutalen, psychopathischen Bruder lebenslang hinter Gitter bringen, auf dass das Morden ende.
Fazit: Dieses Buch ist einfach zu lesen, Inhaltlich aber erdrückend.
Maschinen wie ich *
von Ian McEwan, 416 S
Charlie ist ein sympathischer Lebenskünstler Anfang 30. Miranda eine clevere Studentin, die mit einem dunklen Geheimnis leben muss. Sie verlieben sich, gerade als Charlie seinen ›Adam‹ geliefert bekommt, einen der ersten lebensechten Androiden. In ihrer Liebesgeschichte gibt es also von Anfang an einen Dritten: Adam. Kann eine Maschine denken, leiden, lieben? Adams Gefühle und seine moralischen Prinzipien bringen Charlie und Miranda in ungeahnte – und verhängnisvolle – Situationen.
Fazit: Sehr enttäuschend, nach 77 von 416 Seiten aufge-hört zu lesen, langweilig.
Neujahr *
von Juli Zeh, 192 S
Lanzarote, am Neujahrs-morgen: Henning will mit dem Rad den Steilaufstieg nach Femés bezwingen. Seine Ausrüstung ist miserabel, Proviant nicht vorhanden. Während er gegen Wind und Steigung kämpft, rekapituliert er seine Lebenssituation. Eigentlich ist alles in Ordnung, die Kinder ge-sund, der Job passabel. Aber Henning fühlt sich überfordert. Familienernährer, Ehemann, Vater - in keiner Rolle findet er sich wieder. Seit einiger Zeit leidet er unter Panikattacken, die ihn heimsuchen wie ein Dämon. Als er schliesslich völlig erschöpft den Pass erreicht, führt ihn ein Zufall auf eine gedankliche Zeitreise in seine Kindheit. Schlagartig durchlebt er wieder, was ihn einmal fast das Leben gekostet und bis heute geprägt hat. "Neujahr" erzählt die atemberaubende Geschichte von zwei kleinen Kindern, die mitten im Ferienparadies in die Hölle geraten. Ebenso geht es um die Krise eines Mannes, der zwischen ungeklärten Geschlechterrollen zerrieben wird. Und um die existenzielle Frage, ob unser Leben bereits in der Kindheit vorbestimmt wird oder ob wir selbst es sind, die über Glück oder Unglück entscheiden.
Fazit: Sehr gut und spannend geschrieben, fast wie ein Krimi, nur besser!
Demnächst
Heimkehr *
von Thomas Hürlimann, 520 S
Auf einer Brücke über einen Schweizer See kracht Heinrich Übel mit seinem geliehenen amerikanischen Strassen-kreuzer ins Geländer. Als er nach dem Unfall wieder zu sich kommt, findet er sich in einem altmodischen Hotel auf Sizilien wieder. Er weiss, wer er ist, aber er hat keine Ahnung, wie er da hingekommen ist. Auch behandeln ihn die Menschen in dem kleinen Küstenort ganz anders als die in seinem früheren Leben: Er, der früher eher ein Unglücks-rabe war, ist plötzlich ein Held und Frauenschwarm. Aber hat sich die Welt um ihn herum verändert oder ist er selbst ein anderer geworden? Was ist wirklich geschehen bei seinem Unfall auf der Brücke über den See?
Fazit: Mit diesem wunderbaren Roman wurde ich leider nie richtig warm. Während eines ganzen Monats las ich in diesem Buch und kam nicht vom Fleck und legte alsdann beiseite..
Die einzige Geschichte *
von Julian Barnes, 304 S
Julian Barnes´ kunstvoller Roman über eine unkonvention-elle erste Liebe, die zur lebenslangen Herausforderung wird.Würden Sie lieber mehr lieben und dafür mehr leiden, oder weniger lieben und weniger leiden? Das ist, glaube ich, am Ende die einzig wahre Frage.
Die erste Liebe hat lebenslange Konsequenzen, aber davon hat Paul im Alter von neunzehn keine Ahnung. Mit neunzehn ist er stolz, dass seine Liebe zur verheirateten, fast 30 Jahre älteren Susan den gesellschaftlichen Konventionen ins Gesicht spuckt. Er ist ganz sicher, in Susan die Frau fürs Leben gefunden zu haben, alles andere ist nebensächlich. Erst mit zunehmendem Alter wird Paul klar, dass die Anforderungen, die diese Liebe an ihn stellt, grösser sind, als er es jemals für möglich gehalten hätte.
Fazit: Dies ist eine ganz spezielle Geschichte, sehr lesenswert, geht unter die Haut undnicht ganz einfach zu verdauen.
Worauf wir hoffen *
Fatima Fahren Mirza, 580 S
Was hält unsere Familien im Innersten zusammen? Amar hat es sich nicht ausgesucht, einziger Sohn und Stolz der Familie zu sein. Wenn er gegen seine muslimischen Eltern rebelliert, ist es seine ältere Schwester Hadia, die ihn schützt. Bis sie sich fragt: wovor eigentlich? Vor den Mög-lichkeiten, die sie als junge Frau nicht hat? Nach einem Streit mit dem Vater läuft Amar von zu Hause weg. Und Hadia nimmt nach und nach seinen Platz ein. Drei Jahre später heiratet sie einen Mann ihrer eigenen Wahl: für die Familie die Chance, sich neu zu erfinden. Doch dann kehrt Amar zurück. Gibt es eine Eifersucht, die verzweifelter ist, als die unter Geschwistern? Müssen wir die Welt unserer Eltern erst akzeptieren, bevor wir uns daraus befreien können?
Fazit: Ein wunderbares feines Buch. Hat mir sehr gut gefallen, allerdings muss man offen sein für die muslimische Religion, da darüber viel erzählt wird.
Mein Ein und Alles *
von Gabriel Tallent, S 480
Dieser Roman über ein junges Mädchen hat Amerikas Leserschaft überwältigt und gespalten. Denn Turtle Alveston, so verletzlich wie stark, ist eine der unver-gesslichsten Heldinnen der zeitgenössischen Literatur. Sie wächst weltabgeschieden in den nordkalifornischen Wäldern auf, wo sie jede Pflanze und jede Kreatur kennt. Auf tagelangen Streifzügen in der Natur sucht sie Zuflucht vor der besitzergreifenden Liebe ihres charismatischen und schwer gestörten Vaters. Erst als sie ihren Mitschüler Jacob näher kennenlernt und wahre Freundschaft erfährt, beginnt die Befreiung aus seinen Klauen. Gabriel Tallents Debut ist von eindringlicher Wucht und zugleich Zartheit, eine neue Stimme, die niemanden kalt lässt. »Als Leser schlägt einem das Herz bis zum Hals und man hofft nichts inständiger, als dass Turtle durchkommen möge. Intensiv und lebendig.
Fazit: wer dieses Buch liest, muss etwas aushalten können. Brutlität in Worten und Taten, dazwischen wieder tolle Naturbeschreibungen. Trotzdem hat mir das Buch ge-fallen und es ist kein Krimi.
Der Stotterer *
von Charles Lewinsky, 416 S
Weil er Stotterer ist, vertraut er ganz auf die Macht des geschriebenen Worts und setzt es rücksichtslos ein, zur Notwehr ebenso wie für seine Karriere. Ein Betrug – er nennt es eine schriftstellerische Unsorgfältigkeit – bringt ihn ins Gefängnis. Mit Briefen, Bekenntnissen und erfundenen Geschichten versucht er dort diejenigen Leute für sich zu gewinnen, die über sein Los bestimmen: den Gefängnispfarrer, den Drogenboss, den Verleger.
Fazit: ein vortrefflicher Schelmenroman, unbedingt lesen!
Wohin wir gehen
von Peggy Mädler, 224 S
Peggy Mädlers Roman über zwei Freundinnen, von denen die eine gelernt hat, dass es immer etwas zu verlieren gibt, und die andere, dass es immer irgendwie weitergeht. Eine Geschichte über das Älterwerden und Abschiednehmen, über Neuanfänge und das Immer-wieder-Weitermachen.
Almut und Rosa, zwei Mädchen im Böhmen der 1940er Jahre, sind beste Freundinnen. Als Almuts Vater überraschend stirbt und ihre Mutter Selbstmord begeht, nimmt Rosas Mutter, eine deutsche Kommunistin und Antifaschistin, die nach dem Krieg wie alle Deutschen die Tschechoslowakei verlassen muss, beide Mädchen mit nach Brandenburg. Sie teilen Erfahrungen von Verlust und Entwurzelung, aber auch von wachsender Verbundenheit mit dem neugegründeten Staat. Almut und Rosa werden Lehrerinnen, ziehen nach Berlin, doch mit 30 entscheidet sich Rosa abermals für einen Neuanfang: Wenige Monate vor dem Mauerbau steigt sie nur mit einer Handtasche in die S-Bahn nach Westberlin. Almuts Welt bricht auseinander, verliert ihr Oben und Unten, ist sie doch selbst auf der Suche nach etwas, das bleibt. Ein halbes Jahrhundert später hat Almuts Tochter Elli ebenfalls eine beste Freundin, die Dramaturgin Kristine. Und sie ist es schliesslich, die sich im Alter um Almut kümmert, als Elli in Basel eine Stelle am Theater hat. Erfahrungen und Erinnerungen lagern sich wie Sedimente ab. Lebenswege verschlingen sich, zwischen den Familien und den Generationen, es geht immer auch ums Weggehen, Ankommen oder Bleiben, und um den Moment, in dem man sieht, was wirklich zählt.
Fazit: Ein Buch genau nach meinem Geschmack, feinfühlig aber nicht duselig, interessantes Zeitgeschehen.
Sie kam aus Maripul *
von Natascha Wohin, 363 S
"Wenn du gesehen hättest, was ich gesehen habe" - Natascha Wodins Mutter sagte diesen Satz immer wieder und nahm doch, was sie meinte, mit ins Grab. Da war die Tochter zehn und wusste nicht viel mehr, als dass sie zu einer Art Menschenunrat gehörte, zu irgendeinem Kehricht, der vom Krieg übriggeblieben war. Wieso lebten sie in einem der Lager für "Displaced Persons", woher kam die Mutter, und was hatte sie erlebt? Erst Jahrzehnte später öffnet sich die Blackbox ihrer Herkunft, erst ein bisschen, dann immer mehr.
"Sie kam aus Mariupol" ist das aussergewöhnliche Buch einer Spurensuche. Natascha Wodin geht dem Leben ihrer ukrainischen Mutter nach, die aus der Hafenstadt Mariupol stammte und mit ihrem Mann 1943 als "Ostarbeiterin" nach Deutschland verschleppt wurde. Sie erzählt beklemmend, ja bestürzend intensiv vom Anhängsel des Holocaust, einer Fussnote der Geschichte: der Zwangsarbeit im Dritten Reich. Ihre Mutter, die als junges Mädchen den Untergang ihrer Adelsfamilie im stalinistischen Terror miterlebte, bevor sie mit ungewissem Ziel ein deutsches Schiff bestieg, tritt wie durch ein spätes Wunder aus der Anonymität heraus, bekommt ein Gesicht, das unvergesslich ist. "Meine arme, kleine, verrückt gewordene Mutter", kann Natascha Wodin nun zärtlich sagen, und auch für uns Leser wird begreifbar, was verlorenging. Dass es dieses bewegende, dunkel-leuchtende Zeugnis eines Schicksals gibt, das für Millionen anderer steht, ist ein literarisches Ereignis.
"Das erinnert nicht von ungefähr an die Verfahrensweise, mit der W. G. Sebald, der grosse deutsche Gedächtnis-künstler, verlorene Lebensläufe der Vergessenheit entriss." (Sigrid Löffler in ihrer Laudatio auf Natascha Wodin bei der Verleihung des Alfred-Döblin-Preises 2015)
Fazit: Dieses Buch hat mich tief berührt. Zeitweise konnte ich das Buch kaum aus den Händen legen. Ein Stück Zeitgeschichte von nichtjüdischen Zwangsarbeitern im 2. Weltkrieg. Aufschlussreich und sensibel geschrieben.
Auf der Erde sind wir kurz grandios *
von Ocean Vuong, 240 S
„Lass mich von vorn anfangen. Ma …“ Der Brief eines Sohnes an die vietnamesische Mutter, die ihn nie lesen wird. Die Tochter eines amerikanischen Soldaten und eines vietnamesischen Bauernmädchens ist Analphabetin, kann kaum Englisch und arbeitet in einem Nagelstudio. Sie ist das Produkt eines vergessenen Krieges. Der Sohn, ein schmächtiger Aussenseiter, erzählt – von der Schizophrenie der Grossmutter, den geschundenen Händen der prügelnden Mutter und seiner tragischen ersten Liebe zu einem amerikanischen Jungen. Vuong schreibt mit alles durchdringender Klarheit von einem Leben, in dem Gewalt und Zartheit aufeinanderprallen. Das kraftvollste Debüt der letzten Jahre, geschrieben in einer Sprache von grandioser Schönheit.
Fazit: Dieses Buch ist schwer zu lesen, da es keine fortlaufende Geschichte gibt. Eher wie Episoden aus dem Leben, in Briefform an die Mutter geschrieben. Ansonsten literarisch wunderschöne Texte.
Alles ist möglich *
von Elisabeth Strout, 256 S
In ihrem neuen Roman erzählt Elizabeth Strout unvergessliche Geschichten über die Menschen einer Kleinstadt, die sich nach Liebe und Glück sehnen, aber oft Kummer und Schmerz erleben.
Da sind zwei Schwestern: Die eine gibt für die Ehe mit einem reichen Mann ihre Selbstachtung auf, während die andere sich von einem Buch dazu inspirieren lässt, ihr Leben zu ändern. Der Hausmeister der Schule will einem Aussenseiter helfen und stürzt dabei in eine Glaubenskrise; eine erwachsene Frau sehnt sich immer noch wie ein Kind nach der Liebe ihrer Mutter. Und eine in New York erfolgreiche Schriftstellerin kehrt nach siebzehn Jahren zum ersten Mal in ihre Heimat zurück, um ihre Geschwister zu besuchen.
Die ganze Bandbreite menschlicher Gefühle, von Hass und Neid, Einsamkeit und Wut bis zu innigster Menschenliebe entfaltet sich in diesen Familiengeschichten. Es sind Geschichten über die Natur des Menschen in all seiner Verletzlichkeit und Stärke, über die unendliche Vielfältigkeit des Lebens.
Fazit: Ein Buch nach meinem Geschmack, ähnlich im Stil wie der von Juli Zeh, aber mit Geschichten aus der USA.
Kanalschwimmer *
von Ulrike Draesner, 176 S
Dass er »zu sicher gelebt hat«, begreift Charles mit Anfang 60, kurz vor seinem Ruhestand. Als seine Frau Maude ihm eröffnet, dass ein anderer Mann fortan das Haus mit ihnen teilen soll, setzt er ihrem Traum zunächst einen eigenen entgegen: einmal im Leben durch den Ärmelkanal zu schwimmen. Das Wasser – stark, anziehend, gefahrvoll – verändert Charles’ Sicht auf sein Leben: auf die drei Sommer der Liebe in den Siebzigern, menschliche Leidenschaften, gescheiterte Utopien.
Mit beeindruckender poetischer und psychologischer Intensität, sinnlich und humorvoll erzählt Ulrike Draesner die Geschichte einer Kanalüberquerung, die äussere wie innere Grenzen testet. Ein Aufbruch im Alter, ist das möglich? Gelten die frühen Ideale noch – oder wieder? Der Kanal ist kalt, die Strömung mächtig. Am Ende wird Charles klar, dass er nicht über seinen Schatten springen muss. Er kann ihn durchschwimmen.
Fazit: Der Anfang dieses Buches war für mich etwas langweilig, aber dann zog es mich immer weiter, so wie der Schwimmer immer weiter schwimmen musste. Ein spezielles Buch, hat mir aber gefallen.
Winterbienen
von Norbert Scheure, 319 S *
Januar 1944: Während über der Eifel britische und amerikanische Bomber kreisen, gerät der wegen seiner Epilepsie nicht wehrtaugliche Egidius Arimond in höchste Gefahr. Er bringt nicht nur als Fluchthelfer jüdische Flüchtlinge in präparierten Bienen-stöcken über die Grenze, er verstrickt sich auch in Frauengeschichten.
Mit grosser Intensität erzählt Norbert Scheuer in "Winterbienen" einfühlsam, präzise und spannend von einer Welt, die geprägt ist von Zerstörung und dem Wunsch nach einer friedlichen Zukunft.
Fazit: Dieses Buch könnte für mich eines der Besten in diesem Jahr werden. Unbedingt lesen.
Herzenstimmen *
von Jan-Philipp Sendker, 352 S
Zehn Jahre ist es her, seit Julia Win aus Burma als anderer Mensch zurückkehrte. Sie hatte ihren Vater gesucht, den Bruder gefunden und war beseelt gewesen von der schönsten Liebesgeschichte, die sie je gehört hatte. Doch in der Zwischenzeit wurde sie von ihrer Karriere in einer New Yorker Anwaltskanzlei längst wieder in das rastlose westliche Leben zurückgeholt. Da erreicht sie ein rätselhafter Brief ihres Bruders U Ba aus Burma, und mit dem Brief kommt nicht nur die Erinnerung zurück, sondern Julia wird auch klar, dass sie die Lehren von damals über die Liebe und das Leben vergessen hat. Und seit sie den Brief gelesen hat, geschieht Seltsames: Immer wieder spricht eine fremde innere Stimme zu ihr, deren Fragen Julia Angst machen, aber auch eine tiefe Sehnsucht wecken. Hat der alte burmesische Mönch, den sie um Rat fragt, mit seiner Vermutung recht, dass zwei Seelen in Julias Brust wohnen? Und was kann sie von dieser anderen, ihr unbekannten Seele lernen? Schon fürchtet Julia, den Verstand zu verlieren, doch dann wird ihr klar, dass nur ihr Bruder in Burma ihr helfen kann. Mit seiner Hilfe muss Julia dem Ursprung und dem Geheimnis der Stimme auf den Grund gehen, um zwei Seelen zu versöhnen und das Glück zu finden.
Jan-Philipp Sendkers Roman »Das Herzenhören« ist ein Phänomen: ein Buch, das im Laufe der Jahre Hunderttausende Leserherzen gewonnen hat – und noch immer werden
es täglich mehr. Sendker hat damit eine universelle Liebesgeschichte für unsere Zeit geschrieben und mit Julia Win und ihrem Halbbruder U Ba unvergessliche Figuren geschaffen. Mit Herzenstimmen
findet der Bestseller nun eine grandiose Fortsetzung, auf die unzählige Leserinnen sehnsüchtig warten.
Fazit: Wunderbare Ferienlektüre
Bella Ciao
von Raffaella Romagnola, 528 S
Piemont, 1946. Giulia Masca kommt als gemachte Frau zurück in das Städtchen ihrer Kindheit, wo sie noch eine Rechnung offen hat. Vor fast fünfzig Jahren wurde sie hier von ihrer besten Freundin Anita und ihrem Verlobten hintergangen, weshalb Giulia die Flucht ergriff und sich in New York eine neue Existenz aufbaute. Nach einem halben Jahrhundert will sie Anita wieder treffen – wie werden sie sich gegenübertreten?
Fazit: Dieser Roman hat mir sehr gut gefallen. Der obige Beschrieb sagt nicht viel aus zum Inhalt. Hier kommt eine Dorfgeschichte von 1910 bis in die Neuzeit daher. Sehr interessant ist, wie die Geschichte aufgebaut ist (Rück-blenden). Das ist manchmal etwas verwirrlich, aber man gewöhnt sich schnell daran. Hat mir sehr gut gefallen.
Demnächst
Langsame Jahre
von Fernando Aramburu, 208 S
Ein achtjähriger Junge wird mit einem kleinen Koffer in der einen und zwei lebenden Hühnern in der anderen Hand zu Verwandten geschickt. In seinem baskischen Heimatdorf herrscht grosse Armut, die Eltern können den Jüngsten nicht mehr ernähren.
In San Sebastián erwartet ihn eine typisch baskische Familie der sechziger Jahre: Die Tante hat das Sagen, ihr Mann kriegt den Mund nicht auf. Die Cousine und der Cousin suchen auf verschiedene Weisen neue Freiheiten, von denen die Eltern nichts wissen. Der Junge beobachtet mit den staunenden Augen eines Kindes, wie mühevoll es ist, sich von Konventionen zu befreien und seinen eigenen Weg zu finden. Doch als er seine Chance bekommt, nutzt er sie.
In "Langsame Jahre" wird beschrieben, wie die Geschehnisse, die in "Patria" einzelne Familien und schliesslich das ganze Land auseinanderbrechen lassen, ihren trägen Anfang nehmen. Ein Buch über das Schicksal eines Jungen, das einem ans Herz geht und das gleichzeitig viel darüber preisgibt, wie wir zu dem werden, was wir sind. "Aramburu gelingt es meisterhaft, Grosses im Kleinen zu erzählen".